Ein Gespräch über spannende Brückenbauten, Rammstein und das Herz der Hauptstadt „Meine Schulzeit war eine Tortur“ – Balbina im Interview

Im Deutsch-Pop steht seit einigen Jahren kaum ein Name so hoch im Kurs wie der von Balbina. Mit viel Tiefe und Wortwitz hat sich die Berlinerin eine Fangemeinde aufgebaut, die stetig größer wird. Mit ihrem neuen Studioalbum „Punkt.“ geht Balbina nun den nächsten Schritt.

© Christoph Kassette
Im Deutsch-Pop steht seit einigen Jahren kaum ein Name so hoch im Kurs wie der von Balbina. Mit viel Tiefe und Wortwitz hat sich die Berlinerin eine Fangemeinde aufgebaut, die stetig größer wird. Mit ihrem neuen Studioalbum „Punkt.“ geht Balbina nun den nächsten Schritt. Wir trafen die Ausnahmekünstlerin zum Interview und sprachen über spannende Brückenbauten, Rammstein und das Herz der Hauptstadt.

Balbina, mal abgesehen vom Promo-Standard, der in neun von zehn Fällen besagt, dass das neue Album immer auch das bisher beste ist: Was macht „Punkt.“ für dich persönlich zu einem besonderen Album?

Das Besondere an „Punkt.“ ist, dass ich mich diesmal nicht von meinem Hang zur Perfektion hab leiten lassen. Ich habe meinem Bauchgefühl vertraut und mich voll und ganz auf meine Emotionen fokussiert. Mir war diesmal wichtig, eine Live-Atmosphäre mit ins Studio zu nehmen. Ich wollte eine Brücke zwischen Bühne und Gesangskabine bauen. 

Deine bisher größte musikalische Herausforderung?

Jedes neue Album ist eine Herausforderung. Diesmal ging es vor allem um persönliche Überwindung. Ich habe Gesangsspuren verwendet, die ich in der Vergangenheit wahrscheinlich schon frühzeitig aussortiert hätte. Mir war aber diesmal die Nähe zur Live-Atmosphäre besonders wichtig. Und auf der Bühne klingen nun mal nicht alle Gesangslinien perfekt. Ich habe auch Leute ins Studio eingeladen, denen ich die Songs live vorgesungen habe. Ich wollte einfach so nah an den Zuhörern sein wie bei einem Konzert. 

Es war zu lesen, dass das neue Album aus einer Depression heraus entstanden sei. Gibt es eine Verbindung zwischen Albumtitel und eben jener dunklen Phase deines Lebens?

Auf jeden Fall. Ich habe eine Zeit hinter mir, in der ich vieles hinterfragt und kritisiert habe – vor allem auf persönlicher Ebene. Mit dem Album habe ich mich quasi wieder freigeschwommen. Die Musik hat mir dabei geholfen, wieder zu mir selbst zu finden. Ich meine, trotz der vielen tiefen und dunklen Momente auf dem Album überwiegt am Ende das Positive. Der Albumtitel hätte nicht besser passen können. Er bringt das Ende einer dunklen Phase perfekt auf den „Punkt“.

Die Coverversion des Rammstein-Titels „Sonne“ sorgt dieser Tage für viel Aufsehen. Wie kamst du auf diesen Titel?

Das Original begleitet mich schon viele Jahre. Es ist ein Song, der mir und Millionen anderen Menschen unheimlich viel Kraft spendet. Normalerweise hätte ich diesen Song nie angerührt, dafür liebe ich die Ur-Version einfach viel zu sehr. Ich hatte dann aber die Idee, dieses prägnante Gitarrenriff des Songs in einen weiblichen Chor umzuwandeln. So entstand eine Version, mit der ich mich total identifizieren konnte. Das war so der Schlüsselmoment, der dann letztlich dazu führte, dass wir den Track aufgenommen und mit aufs Album gepackt haben.

Und die Herren von Rammstein sind sehr entzückt.

Ja, der Song wurde von der Band auf den sozialen Kanälen verlinkt. Das fühlt sich natürlich super an.

Du hast mal gesagt: „Ich erkenne in Dingen, die anderen egal sind, viel Schönes.“ Wann genau fing diese besondere Wahrnehmung bei dir an?

Das war eigentlich schon immer so. Ich bin einfach ein Mensch, der sich für alles interessiert. Alles was in meinem Umfeld stattfindet, oder einfach nur präsent ist, löst eine Faszination in mir aus. Vor mir steht beispielsweise eine Kommode, die wahrscheinlich nirgendswo für Aufsehen sorgen würde. Für mich hingegen steckt da viel mehr dahinter. Die Tatsache, dass die Kommode von Millionen kleinen Atomen zusammengehalten wird, ist für mich etwas ganz Großes. Das ist für die meisten Menschen völlig normal. Eine Kommode ist halt eine Kommode, ein einfacher Gebrauchsgegenstand. Mich beschäftigt so etwas aber total. Ich finde das unheimlich spannend. So nehme ich die Dinge und meine Umwelt einfach wahr. Das bin ich. 

Du wurdest während deiner Schulzeit oft ausgegrenzt. Deine besondere Persönlichkeit hat dich damals zur Außenseiterin gemacht. Wie denkst du heute über diese Zeit?

Es war schon eine ziemliche Tortur. Aber letztlich bin ich froh darüber, dass ich diese Zeit durchlebt habe. In der Musikbranche braucht man auch ein richtig dickes Fell. Man muss sich immer wieder neu beweisen und sich permanent durchsetzen. Die Zeit in der Schule war eine wichtige Lehrphase, die mich auf viele schwere Situationen im späteren Leben vorbereitet hat. 

Du standst vor ein paar Monaten auf der Bühne der Hamburger Elbphilharmonie und hast dort, ganz exklusiv, dein neues Album zum ersten Mal live vorgestellt. Du lebst bereits seit deiner Kindheit in Berlin. Gab es auch Überlegungen, diesen doch sehr bedeutenden Abend, in deiner Heimatstadt über die Bühne zu bringen? Oder war Hamburg von Beginn an die erste Wahl?

Die Anfrage von der Elbphilharmonie kam ziemlich genau ein Jahr vor dem Konzert. Damals hatte ich schon einige neue Songs, aber noch kein richtiges Gefühl für ein komplettes Album. Als mein Booker mich dann anrief und mir von der Anfrage erzählte, war das quasi die Geburtsstunde der Albumfinalisierung. Ich wollte dort unter keinen Umständen nur mit „alten“ Songs auftreten. Die Frage, ob Hamburg oder Berlin, stellte sich also gar nicht. Schlussendlich war es auch ein richtig toller Abend in Hamburg.

Du bist in Moabit aufgewachsen. Danach hast du lange Zeit in Neukölln gelebt. Ist Berlin genau die richtige Stadt für jemanden wie dich?

Absolut. Ich liebe Berlin. Mittlerweile wohne ich in Wilmersdorf. Das ist eine ziemlich ruhige Ecke, in der ich mich total wohl fühle, und wo ich jeden kenne. Ich hab da meine Nachbarn, meinen Bäcker um die Ecke und einen super Park in der Nähe, wo ich prima joggen kann. Ich brauche dieses Wohlgefühl und auch die Ruhe. Ich bin kein Partygänger. Ich bin froh, wenn ich daheim in meiner kleinen Altbauwohnung an meinen Songs tüfteln kann. Das ist für mich das pure Glück.

Gibt es abseits deines Kiezes noch andere Gegenden in der Stadt, die dich inspirieren und aufblühen lassen?

Berlin ist voll von solchen Ecken. Ich liebe es beispielsweise den Hohenzollerndamm in Richtung Grunewaldsee runter zu laufen. Das ist für mich Berlin, so wie die Stadt schon vor hundert Jahren tickte. Wenn dort hinter dem Roseneck der Wald anfängt… Das ist für mich persönlich das Herz von Berlin.

„Punkt.“ ist am 10. Januar auf Balbinas eigenem Label Polkadot erschienen. Am 24. April 2020 führt Balbina mit ihrer Band und dem Deutschen Filmorchester Babelsberg das Album live im Admiralspalast in Berlin auf.