Ben Hartmann und Johannes Aue über den Hauptstadt-Sumpf ... Milliarden im Interview: Mit den Füßen im Dreck

Album Nummer zwei des Duos heißt „Berlin“ und handelt in Pop-Balladen und 1-2-3-4-Punk-Songs von den Menschen, die in der von Investoren beherrschten Stadt nicht mehr mitmachen wollen – oder können…

© Phillip Kaminiak
„Ich kauf mir die Welt, ohne was zu haben“, sangen Milliarden auf „Betrüger“ noch leidenschaftlich unbedarft. Zwei Jahre später werden die Träume von Baukränen abgetragen. Album Nummer zwei des Duos heißt „Berlin“ und handelt in Pop-Balladen und 1-2-3-4-Punk-Songs von den Menschen, die in der von Investoren beherrschten Stadt nicht mehr mitmachen wollen – oder können. Mit Ben Hartmann und Johannes Aue sprachen wir über den Hauptstadt-Sumpf…

„Berlin“ soll eine Liebeserklärung sein – ich höre allerdings mehr Frust als Liebe heraus. Darüber, dass die Stadt an Investoren verhökert wird zum Beispiel.

Ben: Das kann sein. Ehrlich gesagt ist das Album passiv zu dem geworden, was es ist. Wir haben erst gar nicht gemerkt, dass sich jeder Song in unserem Karree abspielt. Uns als wir das Album dann „Berlin“ nannten, hielten uns alle für bescheuert. Der Titel ist aber gar nicht fancy gemeint. 

Sondern?

Ben: Berlin kann ein echter Sumpf sein – im positiven wie im negativen Sinne. Vielleicht kann man mit diesem Bewusstsein wieder eine Verbindung zu diesem Ort aufbauen statt dieser Scheinliebe, die überall verkörpert wird. Es kann einem nicht entgehen, wie sich alles verändert.

Welche Veränderung nehmt ihr in eurem persönlichen Berlin wahr?

Ben: Das Bild wird gesättigter, jede Freifläche wird bebaut. Die Kreativen und Künstler verpissen sich. Das, was Berlin ausgemacht hat, der Clash zwischen Systemen, der Architektur und den Leuten, und dass es Freiräume gab, um das auszudrücken – das gibt es nicht mehr. 

Und trotzdem bleibt ihr hier – und schreibt ein Album über ebenjene Entwicklung, die im Grunde keine neue ist?

Ben: Weil es ein geschichtsträchtiger Ort ist, dem ich es zutraue, sich irgendwann wieder dagegen zu stemmen. Dieser Raum setzt uns zu: Er kreiert unser Leben, unsere Widerstände. Und ja, lass’ diese Entwicklungen nichts Neues sein – aber es ist ein ehrliches Album geworden!

Musikalisch habt ihr dafür…

Johannes: …alles genau so geschrieben, wie wir das vorher auch gemacht haben.

Ben: Wir sind ja sowieso keine Übermusiker!

Wie meinst du das?

Ben: Wir sind eine gute Live-Band, aber als Musiker, gibt es Leute, die noch mehr können. 

Johannes: Wir haben nichts in diese Richtung studiert. Das kam ja einfach so. Das ist mehr Gefühl, als dass wir einen Ton spielen und genau wissen, welchen Effekt der hat. Dafür legen wir Energie rein! 

Im Titelsong heißt es: „Ich hab’ zu Träumen gewagt und niemand hat mir Stopp gesagt“. Träumer sein – ist das in dieser Stadt überlebensnotwendig oder fatal?

Ben: Diese Frage ist der Kern des Albums! Wir persönlich sind Blödmänner, die mit den Füßen im Dreck und dem Kopf in den Sternen herumlaufen. Wir sitzen in diesen Label-Räumen, aber wir haben kaum Kohle. Man braucht eine gewisse Naivität, um dieses Leben zu leben. Aber was heulen wir? Andere müssen auf der Straße leben! Wie „Die Toten vom Rosethaler“ oder Roberto, der im Interlude zu hören ist. Man ist ständig damit konfrontiert. Aber wir begreifen es nicht. 

Soll heißen: Das urbane Gewissen fehlt?

Ben: Ja, wir fangen an, diese Menschen zu leugnen. Unsere Politik ist darauf ausgerichtet, Menschen hier aufzunehmen und sie dann an den Rand zu drücken. Auch wenn Angela Merkel etwas anderes behauptet. Das ist eine verdammte Schein-Geste! Schluss mit all dem Scheiß!

www.milliardenmusik.de

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