Der Selbermach-Fetisch Neu in Berlin: Boatfarm in Neukölln

Niko Ostrowski und Benni Bräuniger bringen es auf rund 25 Jahre in der Gastronomie. Doch wenn es um die Boatfarm geht, die sie seit dem Sommer gemeinsam mit Patrick Kilborn am ewig verschlafenen Neuköllner Zickenplatz betreiben – ihr erstes komplett eigenes Ding –, wirken sie doch so aufgeregt und optimistisch, als sei es ihr erster Tag…

© Boatfarm
Niko Ostrowski und Benni Bräuniger bringen es auf rund 25 Jahre in der Gastronomie. Doch wenn es um die Boatfarm geht, die sie seit dem Sommer gemeinsam mit Patrick Kilborn am ewig verschlafenen Neuköllner Zickenplatz betreiben – ihr erstes komplett eigenes Ding –, wirken sie doch so aufgeregt und optimistisch, als sei es ihr erster Tag.

Kein Wunder: Von der Weinkarte über die Tischplatte bis zum ladenbreiten Brett über der schmalen Tür, auf dem sich jetzt im Herbst bald das Feuerholz für den kleinen Ofen in der Ecke stapeln wird, haben die Jungs alles in die eigenen Hände genommen. „Das ist einfach unser Selbermach-Fetisch“, lacht Ostrowski – und entkorkt den ersten Wein, den „Sans“ aus dem Hause Benzinger, erfrischend und doch überraschend vollmundig für einen Sauvignon Blanc. Ein spannender Auftakt zu einem wunderbaren Abend, aus dem wir hier einige Fragen notieren…

Ihr habt euch auf Natur- und biodynamische Weine spezialisiert – wie kommt’s?

Die Entscheidung viel uns nicht schwer. Niko verbringt seit zwei Jahrzehnten jedes Jahr ein paar Monate in Frankreich, wo er zum ersten Mal mit Naturwein in Kontakt kam. Anfangs erschien es wie eine sehr sympathische Parallelwelt zum konventionellen Weinbusiness; kleine Produktionen, kein „Chateau“ sondern Mobile-home zwischen den Reben und wirklich interessante Charaktere, die so naturnah wie möglich Arbeiten. Das ist alles sehr einladend. Darüber hinaus erschien der Übergang dann doch sehr fließend. Viele Winzer schauen heute auf ihre Trauben und entscheiden dann, was sie brauchen, um einen guten Wein zu kreieren – was eben auch heißen kann, eventuell etwas Schwefel einzusetzen oder auch völlig darauf zu verzichten. Letztendlich zählt das „Glück“ in der Flasche. Naturweine zeigen, was die Natur an Schätzen produziert, wenn man aufmerksam an den ihr eigenen Prozessen Anteil nimmt. Solch ein Wein ist somit ein ehrliches, nachvollziehbares Produkt der Natur, für das wir gern unser Gesicht hinhalten… und sie schmecken einfach großartig.

Euer Programm konzentriert sich neben Weinen aus Deutschland vor allem auf Produkte aus Frankreich und Italien. Kann man im Segment Natur/Biodynamik schon von groben nationalen Tendenzen sprechen oder macht hier doch jeder sein eigenes Ding?

Das ist sehr schwer zu beantworten. Es scheint erst einmal ein natürlicher Prozess, dass in Regionen mit Weintradition auch ein Bedürfnis entsteht, altes und neues Wissen zu verbinden, um einen anderen Weg einzuschlagen. Andererseits ist es dort auch um so schwerer, altbewährte Wege zu verlassen und einen anderen Pfad zu beschreiten – siehe etwa Bordeaux.

Man sollte nicht vergessen das bei Naturweine meist eher eine Rückbesinnung auf alte Methoden zu tragen kommt, die mit neuen Erkenntnissen ergänzt werden können. Das passiert zurzeit überall auf der Welt, etwa in Georgien, Bulgarien, Schweiz, Argentinien oder den USA – allerdings oft in eher unbekannteren Regionen von Ländern mit Weinbau Tradition. Es ist allerdings sehr schön zu sehen, wie vernetzt alle Akteure, ob Winzer, Händler oder Liebhaber, jenseits aller regionalen und nationalen Grenzen sind. Das ist wirklich angenehm und erfrischend. Man läuft sich meist früher oder später über den Weg und greift sich gegenseitig unter die Arme.

Für uns war klar, dass wir unseren Fokus zunächst auf das legen sollten, was wir kennen und mögen, um ehrlich und aufmerksam arbeiten zu können. Motto „Schuster bleib bei deinen Leisten“. Allerdings weiß man ja nie, wohin diese bunte Reise noch führt.

Was sind eure jüngsten Entdeckungen?

Aus der Loire in Frankreich haben wir gerade tolle Cot/Malbec Weine entdeckt etwa von der Domaine la Taupe. Auch finden wir immer wieder großartige italienische Weine, die in Tonamphoren hergestellt werden. Umgehauen hat uns ein Syrah aus der Amphore  vom Castello del Trebbio aus der Toskana. Das könnte jetzt ewig so weitergehen. Wir sind gerade wieder verstärkt auf Entdeckungsmission, was durch das angenehme Netzwerk der Naturweinwelt auch immer aufs neue angestoßen wird. Manches fliegt einem auch völlig unvermittelt zu.

Zum Beispiel?

Wir sind auf einer traditionellen Berliner Weinmesse überraschend fündig geworden, wo normalerweise konventionelle Weine vorgestellt werden. In der riesigen Messehalle zwischen all den Ständen mit industriell hergestellten Weinen gab es auf einmal einen kleinen Stand von einem Paar , das ganz anders wirkte als die Vertreter von grossen Weingütern drumherum. Sie stellten sich als Berliner heraus, die vor langer Zeit ins Corbiere in Frankreich ausgewandert sind, um dort, auf einem alten Gut, Naturweine zu produzieren. Die Weine waren dann so grossartig, so wie auch das Paar. Schnell kamen wir ins Gespräch und blieben dann stundenlang an dem Stand. Natürlich haben wir dann gleich bei ihnen bestellt.  Es ist immer wieder schön auf welche Charaktere man in der Naturwein- Welt stößt und wie unterschiedlichste Persönlichkeiten in den jeweiligen Weinen zum Vorschein kommen, ob in der Machart oder sonst wie. 

Die Boatfarm ist sowohl Weinshop als auch Weinbar mit eigener Küche. Was für ein Konzept habt ihr euch für eure Speisekarte überlegt?

Im Prinzip bieten wir alle Facetten europäischer Landküche an. Dabei benutzen wir auch Zutaten, die über die traditionelle Zubereitungsmethode hinausgehen. Im Klartext heißt das, dass ein italienischer Nudelteig für Ravioli mit eher deutschen Zutaten gefüllt werden kann um dann mit französischer Butter und Kräutern serviert zu werden. Klassiker neu zu denken ist wohl die grösste Stärke unseres Kochs Benni Bräuniger, was er schon in vielen Stationen, wie etwa der Lavanderia Vecchia in Neukölln bewiesen hat. Prinzipiell gilt dasselbe, was auch in unserer Weinauswahl zum Ausdruck kommt: einfache Vielfalt. Unsere Weine bewegen sich von spannenden Naturweinen bis hin zu eher klassischer anmutender Handwerkskunst aus meist biodynamischen Weinen. Dazwischen liegen schier unendliche aromatische Möglichkeiten, die wir in unseren Gerichten weiterdenken können. Der lokale Faktor ist uns dabei sehr wichtig. Unser Fisch kommt meist aus der Müritz, das Gemüse möglichst aus der Region. Ehrlichkeit und Nachvollziehbarkeit stehen seit Beginn ganz oben auf der Agenda. Dazu kommt, dass wir alles, was uns möglich ist, selbst herstellen – was oft sehr viel Arbeit kreiert, sich aber total lohnt. Viele Worte für etwas eigentlich sehr Einfaches: Wir sind auf einer Kreuzfahrt zu allem, was wir mögen. 

Erstmals versucht ihr euch nun an einem mehrgängigen Dinner. Wie wird das Ganze aussehen?

Es wird fünf Gänge mit Weinbegleitung geben. Atmosphärisch soll es sich wie ein entspanntes Abendessen unter Freunden anfühlen, also wie sonst auch bei uns, entspannt und unprätentiös.  Natürlich wird die Küche ein ganzes Stück komplexer werden als an den normalen Abenden. Benni kann dann sein ganzes Können zeigen, wir wollen dann schon richtig auffahren. Diese Abende sollen dann regelmäßig stattfinden.  Normalerweise bieten wir kein Fleisch an, bei den mehrgängigen Menüs wird das aber  gelegentlich aufgebrochen und Fleisch aus bio-, regionaler und streng artgerechter Produktion angeboten. Mit den Menüs wollen wir jedes Mal aufs neue eine Geschichte erzählen, und sie werden unter verschiedensten kulinarischen Themen stehen. Wie die Menüs dann im einzelnen aussehen und wie man sich anmelden kann, steht vorab auf unserer Homepage. 

Verratet ihr schon etwas übers Pairing oder wird das eine Überraschung?

Das Weinpairing wird erst direkt vor Ort bekanntgegeben und soll ganz bewusst eine Überraschung sein. Es kommen auch gerade viele neue Weine rein, die dann  beim ersten Menü serviert werden sollen. 

Ihr sitzt hier in einer interessanten Ecke, in der sich die Spannungen in Berlin gut ablesen lassen. Auf der einen Seite der schnieke Graefe-Kiez, auf der anderen der Kottbusser Damm. Wie erlebt ihr die Nachbarschaft?

Es ist wirklich eine interessante Gegend. Wir befinden uns nun wirklich in einem Grenzgebiet zwischen mehreren Welten. Auf der einen Seite Neukölln mit all seiner kulturellen Vielfalt, auf der anderen der Gräfekiez mit all seinen Veränderungen. Unsere Straße ist wohl die letzte, auf der sich alle Kulturen und Lebensarten durchmischen. Wir haben manchmal selbst keinen Überblick, wie viele Kulturen hier eigentlich Tür an Tür leben und arbeiten. Also eigentlich ganz das „alte“ Kreuzberg. Wir stehen somit vor der Möglichkeit, dies alles aufgreifen zu können und in der Art und Weise unserer Arbeit widerzuspiegeln. Unsere Gäste sind wirklich ein bunt gemischtes Völkchen jeden Alters. Dabei kommt es immer wieder zu schönen und verrückten Begegnungen von Tisch zu Tisch, die nicht selten über den Feierabend hinaus anhalten. Uns war und ist es sehr wichtig, unser Konzept für den Ort zu denken. Jede/r soll zu uns kommen können und etwas finden, was sie/ihn ein bisschen glücklicher macht – was sich natürlich auch in unseren Preisen widerspiegelt. Im Prinzip machen die örtlichen Begebenheiten unsere Arbeit fast einfacher: wir mussten nur eine Art gemütliche Blaupause erschaffen die Raum und Zeit für das bietet was unsere Gäste an Wünschen mit sich bringen. Natürlicherweise ist dies auf den von uns gewählten Rahmen beschränkt, aber das ist eben auch die gemeinsame Basis, die unsere Besucher im Idealfall zusammen führt.

Darüber hinaus ist der Ort schon etwas Besonderes. Wir sind alle immer wieder verwundert, wenn man nach Sonnenuntergang über den Zickenplatz hinweg schaut und es sich manchmal so anfühlt, als würde man durch einen Wald in Richtung Kottbusserdamm die Stadt beobachten.

Eines zum Abschluss: Ihr macht vor allem in Wein und Fisch. Warum also ausgerechnet „Boatfarm“?

Wo und wie findet man Fisch? Wo Gemüse und wo Wein? Aber darüber hinaus gibt es sehr viele Gründe und Bauchgefühle für die Namenswahl. Ich denke der aufmerksame Beobachter wird den Laden betreten und schnell eine Ahnung bekommen. Alles Weitere erzählen wir auch immer wieder gern wenn wir gemeinsam bei uns in See stechen.

BOATFARM

Boppstraße 5 | 10967 Berlin
Mi-So 16 bis 22 Uhr, Mo/Di geschlossen

www.boatfarm.de

© Boatfarm