Die Initiative Volksentscheid Fahrrad besteht seit November 2015. Knapp 100 Männer und Frauen haben sich zu einem Team zusammengeschlossen. Mit Hilfe ihres Gesetzesentwurfs, der zehn Ziele umfasst, wollen sie eine Wende in der Verkehrs- und Infrastrukturplanung des Berliner Senats bewirken. Bis zum 14. Juni hat die Initiative über 100.000 Stimmen für ihren Gesetzesentwurf sammeln können. Jetzt prüft der Senat die Stimmen auf ihre Gültigkeit. Wir haben Kerstin Stark, von der Stadtteilinitiative Wedding und Mitglied des Teams Volksentscheid Fahrrad sieben Fragen gestellt.
Worin lag der Ursprung für die Idee, einen Volksentscheid zu diesem Thema zu organisieren?
Wir sind alle begeisterte Fahrradfahrer und sind uns einig gewesen, dass wir eine Mobilitätswende brauchen: Weniger Autoverkehr, mehr Fußgänger und vor allem mehr Fahrradverkehr. Die Politik kommt da nicht hinterher und handelt generell zu wenig. Daran wollen wir etwas ändern!
Wie schätzen Sie die Bereitschaft des Senats ein, mehr Geld für Fahrradfahrer zu investieren?
Die Einstellung des Senats hat sich dahingehend beachtlich gewandelt. Als wir im Februar unseren Gesetzesentwurf öffentlich gemacht haben, hielt sich die Bereitschaft des Senats mehr als in Grenzen. Man muss dazu sagen, dass der Senat über einen geringen Etat für Radfahrer verfügt und dieser wird nicht einmal voll ausgeschöpft. Das liegt leider einzig und alleine daran, dass nicht genügend Stellen vorhanden sind, die dieses Geld ausgeben könnten. Jetzt ist dort ordentlich Bewegung reingekommen, auch aufgrund unserer Arbeit. Das Budget wurde von 15 auf 40 Millionen fast verdreifacht.
Warum fordert ihr zwei Meter breite Fahrradwege an jeder Hauptstraße, Fahrradstraßen als festen Bestandteil im Nebenstraßennetz und Radschnellstraßen?
Die Empfehlung stammt aus Standardwerken für Verkehrsplaner; dort steht, dass sich zwei Fahrradfahrer – ohne sich zu gefährden – überholen können und jedem davon ein Meter Platz eingeräumt werden soll. Leider gibt es für die Stadtplaner keine rechtliche Bindung sich an diese Richtlinien zu halten; dadurch kommt es natürlich zu vielen unnötigen Gefahrenplätzen. In den Fahrradstraßen ist der Autoverkehr, wenn nicht explizit ausgeschildert, verboten. Dort können Fahrräder bequem nebeneinander fahren, was vor allem die Wegen zu öffentlichen Einrichtungen wie Schulen oder Kitas sicherer machen würde. Die Radschnellstraßen würden entlang der großen Hauptpendelstraßen führen, um eine attraktive Alternative für Pendler aus Berlins Randbezirken zu bieten.
Warum schafft Berlin es nicht, „Fahrradleichen“ zu entsorgen und Falschparker zu strafen?
Berlin hat sich in den letzten Jahren todgespart, dadurch gibt es einfach nicht genügend Personal, um Fahrradleichen zu entsorgen. Die Falschparker sind uns ein noch größerer Dorn im Auge – an Kreuzungen versperren sie den Blick für Fahrrad- und Autofahrer und erschaffen so eine unnötige Gefahrensituation. Die Ordnungsämter haben aber einfach nicht genügend Mitarbeiter, um ein solches Falschparken zu vermeiden.
Wie schätzen sie den politischen Einfluss der Initiative ein?
Das nächste wichtigste Datum ist die Wahl am 18. September: dann wird sich zeigen, ob sich die politischen Konstellation günstig für uns verschiebt. Die Grünen unterstützen uns natürlich gerade sehr stark und auch die Linken haben angekündigt, dass sie mit uns ins Gespräch kommen wollen. Mit großer Freude haben wir bemerkt, dass sich im Laufe unserer Initiative das Fahrradfahren zum Wahlkampfthema entwickelt hat und das viele Parteien dem Thema jetzt viel offener gegenüberstehen.
Wie groß ist der finanzielle Rahmen für die Umsetzung eurer Ziele?
Die offizielle Kostenschätzung des Senats beläuft sich auf rund zwei Milliarden Euro; unsere Schätzungen dagegen liegen deutlich darunter. Wir rechnen mit etwa einer halben Milliarde Euro über acht Jahre. Je nachdem auf welche Qualitäten man beim Ausbau setzt, werden sich die Kosten in diesem Rahmen bewegen. Wir sagen immer scherzhaft, dass der Senat mit der Schätzung das Luxuspaket gewählt hat. Die Kostenschätzung beinhaltet natürlich auch die Infrastrukturverbesserung und Personalaufbau, die der Senat über Jahre hinweg vernachlässigt hat. Dieser Modernisierungsstau, der sich in vielen Bereichen gebildet hat, muss auch erst einmal aufgelöst werden.
Wer hat am Ende was davon? Warum sollen die Radfahrer eine „Extra-Wurst“ bekommen?
Insgesamt wollen wir, dass sich Sicherheit und Komfort im Straßenverkehr deutlich verbessern und das geht am Effektivsten, wenn der Anteil der Radfahrer größer wird. So wird der Autoverkehr reduziert, die Stadt wird durch weniger Abgase immer lebenswerter; Berlin kann seine Klimaziele erreichen. Wir verstehen diesen Volksentscheid daher als Schlüssel für eine Mobilitätswende von der jeder Berliner profitiert – egal mit welchen Verkehrsmittel er unterwegs ist. Dabei muss man auch bedenken, dass 70 % der Wege in Berlin zu Fuß, mit dem Rad und dem ÖPNV zurückgelegt werden. Nur 30% der Wege werden mit dem Auto gefahren – die meisten Wege davon sind kürzer als 10 Kilometer, also eine Strecke, die man sehr gut mit dem Fahrrad fahren könnte.
Info: Volksentscheid Fahrrad
Interview: Lennart Zinck