Wie das Leben manchmal spielt: Die passende Gelegenheit kommt, trifft auf entschlossene Menschen und schon ist die Formel fertig, mit der etwas auf die Beine gestellt wird, das mit Glück und Geschick von Dauer ist. So geschah es anno 1996 auch im Fall des Spizz, das bald seinen 20. Geburtstag begeht. Am 19. März 2016 steigt die Geburtstagssause.
Der Charme des Spizz: das durchmischte Publikum
„Ich habe den Laden gebaut. Ich habe hier im Schmutz gestanden und es umfunktioniert, von einem Buchladen in eine Kneipe mit Musikkeller“, erinnert sich Lutz Hilger schmunzelnd an die Zeit vor 20 Jahren. Damals, im Frühjahr 1996, zog die bis dato am Markt 9 befindliche, christliche Buchhandlung „Wort und Werk“ aus. Hilger sowie seine Partner Reimer Augustin und René Sohr, die schon vorher gemeinsam u.a. im Club „Gogelmosch“ aufgelegt hatten und sich lange kannten, zögerten nicht lange, bauten die freigewordenen Räume mit Fleiß und Hingabe zu einer Kneipe um. „Klar, wir haben uns schon Gedanken gemacht, dass ein Risiko dabei ist“, sagt Hilger. Immerhin war die Ecke in der City 1996 vergleichsweise wenig frequentiert und der erste Mietvertrag befristet. Doch viel eigener Einsatz und das nötige Quäntchen Glück verhalfen dem Plan zum Erfolg: So konnte z.B. eine haargenau passende Treppe preiswert erworben und eigenhändig eingebaut werden, die bis heute den Zugang zur Galerie bildet. „Das war ein Mega-Zufallstreffer. Ansonsten hätten wir uns das wahrscheinlich gar nicht leisten können, mit dem Mietvertrag von einem Jahr so eine Galerie hier reinzubauen“, sagt Hilger.
So entwickelte sich das Spizz zu einem der bekanntesten Treffs in Leipzig, wo Gastronomie mit Kultur vereint wird und aktuell 86 Arbeitskräfte Tag und Nacht für das Wohl der Gäste sorgen. Für Ines Bräter, die schon 1996 als studentische Aushilfe im Spizz arbeitete und 2001 als Assistentin der Geschäftsleitung einstieg, liegt der Charme der Location ganz klar in der bunten Durchmischung des Publikums: „Dass sich hier die 18- bis 80-Jährigen treffen. Wir haben vom Student über den Handwerker und Schlipsträger alles vertreten.“ Und so setzt das Spizz bei seinem gastronomischen Angebot auf „Qualität zu einem vernünftigen, nicht übertriebenen Preis“.
Auch Promis regelmäßig zu Gast
Kulturell bietet das Spizz seinen Gästen im eigens umgebauten Kellergeschoss wiederkehrende Höhepunkte wie die Boogie Night oder die Spizz-Beats. Gerade der Keller ist Zeuge eines schier endlosen Fundus an Geschichten, die im Lauf der Jahre dort passiert sind. So begann hier einst die Karriere des Karikaturisten Ulrich Forchner, der nach einer Ausstellung in besagtem Keller 1971 in der damaligen DDR bekannt wurde. Hilger ist außerdem der Saxofonist Bill Evans im Gedächtnis geblieben, der während seines Auftritts einen Stromschlag auf seine „äußerst wertvollen Trompeterlippen“ bekam. Erbost brach der Musiker das Konzert im brechend vollen Raum ab und das Spizz zahlte ihm notgedrungen den geforderten Schadensersatz. Als Evans jedoch das Gleiche beim nächsten Konzert in Paris widerfuhr, erwies sich das Lokal als unschuldig, erhielt eine Entschuldigung und das Geld zurück. „In dieser Richtung gibt es Geschichten ohne Ende“, lacht Hilger.
Auch an die zahllosen Promis, die das Spizz besuchten, denkt das Team gern zurück. Dazu zählt die Fußball-Nationalmannschaft während der WM 2006 ebenso wie Die Toten Hosen, Herbert Grönemeyer, Helge Schneider, Armin Müller-Stahl, Rolf Hoppe und viele mehr. „Es ist immer schön, wenn man die Leute da hat, die locker sind und man ein paar Sätze wechseln kann.“
Die Konkurrenz der Systemgastronomie
Erfreuliches und Tragisches liegen im Lauf der Zeit oft dicht beieinander. Zu Letzterem zählen vor allem die langjährigen Stammgäste des Spizz, die durch hohes Alter, Krankheit oder andere Umstände starben. „Verloren haben wir damit auch richtig gute Freunde.“ Und kleine Kehrseiten gibt es wie überall. „Klar, durch die Arbeitszeiten ist es schon so, dass das Privatleben ein bisschen in den Hintergrund gedrängt wird, aber trotz alledem haben wir unsere Freizeit“, so Hilger. Über die Konkurrenz durch große Ketten der Systemgastronomie ärgert er sich: „Ein Problem, das ich allgemein für die Zukunft sehe. Dass kleine Läden immer mehr an die Stadtränder getrieben werden. Und die Innenstädte immer gleicher aussehen.“ Exorbitant hohe, für kleinere Gastronomen kaum zu stemmende Musikergagen wirken sich auf die Konzertfrequenz aus, die auch im Spizz gegenüber früher deutlich gesunken ist.
Und trotz dieser Widrigkeiten lieben Hilger und seine Kollegen ihre Arbeit. „Ich komme hierher und kann jeden Tag etwas Neues erleben, obwohl ich schon 20 Jahre hier arbeite“, sagt Ines Bräter. Hilger ergänzt: „Und es sind die Menschen und ihre Geschichten, die du hier immer wieder kennenlernst.“
Irgendwann verabschieden wir uns, Hilger und Bräter kehren in ihr Büro zurück. Während im Haus hektische Betriebsamkeit herrscht, wollen Buchhaltung, Einkäufe, Pressearbeit usw. schließlich weiterhin erledigt sein. Denn so könnte sich der Wunsch des Spizz-Teams erfüllen: „Nochmal mindestens 20 Jahre. Dass es weiterhin gut läuft. Und uns unsere Gäste treu bleiben!“
Info: www.spizz.org