Knapp unterhalb des Connewitzer Kreuzes dreht sich das unverkennbare Logo mit den Buchstaben „UT“ in einer Sommerbrise. Heute darf ich hinter die Kulissen des ältesten, original erhaltenen Lichtspielhauses Deutschlands werfen: dem UT Connewitz. Die Tür zum Kinosaal schwingt auf – und ich reise 116 Jahre zurück in der Zeit.
Alles, was hinter dem Klingelschild der Wolfgang-Heinze-Straße 12 a liegt, ist im wahrsten Sinne des Wortes filmreif. Sebastian Gebeler ist Mitarbeiter des UT und drückt mir eine Limo in die Hand, bevor wir uns das alte Lichtspielhaus genauer ansehen. Als ich den Kinosaal betrete, steht mir ein großes „WOW“ wie auf die Stirn geschrieben. Hier, im Herzen von Connewitz, steht ein alter griechischer Palast. Ein blaues Dach spannt sich über das „UT“-Logo und steht auf zwei Säulen. Putz blättert von den Wänden, die Farben sind urig und leicht verblichen. Das Gemäuer hier ist über hundert Jahre alt. Das ist quasi das Atlantis von Connewitz! Wie damals wird das UT Connewitz als Kino genutzt, aber nicht nur. Auch Konzerte, Theater oder Lesungen haben hier ein schmuckes Dach über dem Kopf gefunden.
Eine kleine Geschichtsstunde
Der erste Kinofilm flimmerte etwa 1889 über die Leinwand. Und zwar nicht wie man denkt in gemütlichen Kinositzen! „Die ersten Kinovorstellungen wurden in Zelten auf dem Jahrmarkt gezeigt“, weiß Sebastian Gebeler, „es wurde gegrölt, gelacht und dazwischen geredet!“ Kino und Film war damals die Unterhaltungsform des Proletariats. Um das Freizeitvergnügen für die Arbeiterklasse ein wenig zu veredeln, verwandelten die Bauherren das UT in einen alten griechischen Palast. Ob man sich damals auch über den Eisverkäufer vor Beginn des Filmes beschwert hat? 1912 eröffnete jedenfalls das UT Connewitz und ist damit das älteste Lichtspielhaus in ganz Deutschland. Könnte dieses Kino sprechen, hätte es mehr zu berichten als Urgroßmutter. Kriegsbomben sind hier knapp vorbei gezogen, Besitzer haben gewechselt und schon tausende verschiedene Gäste haben sich hier ihren Hintern breit gesessen.
Aber alles der Reihe nach. Der Name UT stammt von der seinerzeit erfolgreichsten Kinokette Deutschlands – Union Theater, einem Verband von größeren Kinos quasi. Fun Fact: Das UT Connewitz war nie Teil dieser Kette, wollte sich aber mit dem Markennamen größere Einnahmen und mehr Besucher sichern. Während der Kriege und auch der Zeit danach standen Kinos nicht hoch im Kurs. Die Räumlichkeiten wurden unter anderem als Jazzclub oder Videothek genutzt, bis das UT schließlich 1992 vollständig geschlossen wurde.
Wie ein Phönix aus dem … Müll
Das UT Connewitz wurde eher zufällig während eines Straßenfest wiederentdeckt. Anwohner wurden neugierig und warfen ein Blick in das alte Lichtspielhaus. Ganz unromantisch hatten die Bewohner der umliegenden Häuser Schrott und Müll in den Kinosaal geramscht. 2001 gründete sich der UT Connewitz e.V. und erwarb das gesamte Gebäude sowie das angrenzende Wohnhaus, in dem auch ein Bistro und eine Buchhandlung angesiedelt sind.
100 Kinofans haben auf den Sitzen Platz. Früher waren es sogar sechs Mal so viele Sitzgelegenheiten, berichtet Sebastian. Als die Filmbetriebe während der NS-Zeit eine Art Steuer pro Sitz erhoben, musste das UT jedoch schnell handeln und verringerte die Anzahl der möglichen Besucher auf knapp 100. Immer noch genug: 6.400 Gäste waren es im vergangenen Jahr. Im Treppenaufgang hängt ein Kronleuchter mit kultigen Glasschnüren. Voll retro? Nee, hierbei handelt es sich um ein Original! Hinter dem Balkon verstecken sich knautschig-gemütliche Sofas, auf denen es sich die Künstler gemütlich machen können. Von dort hat man einen herrlichen Blick auf die Sitze und Bühne eine Etage tiefer. Ganz charmant: Die Toiletten-Türen sind schwindsucht-schmal. In der Männertoilette zum Beispiel haben gerade mal zwei Pissoirs Platz.
Denkmalschützer und Feingeister
Insgesamt stecken ca. 100 aktive Mitglieder ihre Kreativität und Zeit in das alte Lichtspielhaus. „Viel Energie fließt in die Denkmalpflege“, weiß Sebastian Gebeler. Durch Sanierungen und Instandhaltungsmaßnahmen halten die Räumlichkeiten und das alte Mobiliar im Originalzustand die Mitglieder auf Trab. Weitere Arbeitsgruppen beschäftigen sich mit der Vereinsinfrastruktur und dem kulturellen Programm.
Das Programm im UT ist so bunt wie vielfältig. Im Herbst des vergangenen Jahres erst waren die kultigen Grunge-Rocker der Melvins zu Gast. Während meines Besuches stehen die Instrumente für ein Konzert des MDR-Sinfonieorchesters schon auf der Bühne. Auch für Lesungen und weitere Kunstformen ist das UT offen. „Unsere Mitglieder kommen aus allen Alters- und Interessensgruppen“, fasst Sebastian zusammen. Willkommen ist jeder Besucher, vor allem, wenn dieser es etwas außergewöhnlich mag. Manchmal passieren hier extravagante Dinge“, weiß der UT-Fan.