Von einer, die auszog, ihre Träume zu leben
Familienportrait: Die Geschichte von Noor Karim Hamid
28.07.2018
Anne Küste
Die Geschichte der tapferen Noor Karim Hamid, die mehr als 4.000 Kilometer zurücklegte, um aus der irakischen Hauptstadt Bagdad in das beschauliche Leipzig zu fliehen.
Schätzungsweise 4.000 Kilometer liegen zwischen der irakischen Hauptstadt Bagdad und dem beschaulichen Leipzig. Das ist nicht gerade um die Ecke. Umso bemerkenswerter ist die Leistung der kleinen Noor Karim Hamid, die all ihren Mut und all ihre Kräfte zusammennahm, um diesen Weg – den Aufbruch in die Freiheit – zu wagen.
Es ist der Gesundheitszustand, der die besorgten Eltern lange Zeit, trotz Krieg und schlechter ärztlicher Versorgung, in Bagdad hält. Die Option Flucht ist ein Risiko, vor allem aber eine unkalkulierbare Gefahr für das Wohlergehen der Kinder, da diese regelmäßig auf Bluttransfusionen angewiesen sind. Schließlich wird den zweifelnden Eltern die Entscheidung abgenommen: Im Alter von 5 Jahren entführen Milizen Noors kleinen Bruder auf offener Straße. Einen ganzen Tag voller unfassbarer Sorgen und ein Lösegeld kostet die Freilassung von Abbas. Der Vorfall bestärkt die Familie endgültig in dem, was sie längst befürchteten: Der Irak ist ein gefährlicher Ort, in dem sie nicht länger sicher leben können.
Reichlich Sprachunterricht und weitere abenteuerliche Geschmackserlebnisse später, lernen auch wir Noor und ihre Familie kennen. Mittlerweile hat die elfjährige Viertklässlerin Anschluss und eine Menge Freunde in Leipzig gefunden. Seit das Mädchen mit dem erstaunlichen Kämpferherz vor zwei Jahren in die zweite DAZ-Klasse eingestuft wurde, hat sie enorme Fortschritte gemacht. Nicht nur, dass sie innerhalb kürzester Zeit in den regulären Klassenbetrieb wechselte, mittlerweile ist sie Streitschlichterin für ihren kompletten Jahrgang. In Bagdad besuchte Noor eine Mädchenschule, an der, so erzählt sie uns, der Tagesablauf etwas anders geregelt war als in Deutschland. Sie erinnert sich an einheitliche Schulkleidung und an die Hymne, die jeden Donnerstag vor dem Unterricht gesungen wurde. Seit Leipzig ihr neues zu Hause ist, träumt Noor allerdings von nichts anderem als Ärztin zu werden. Die Hilfe und das Mitgefühl, das ihr entgegengebracht wurde, möchte sie zurückgeben. Die erste Hürde für dieses Vorhaben hat sie mit der Empfehlung für das Gymnasium gemeistert.
Am Ende eines Tages träumt sie sich daher nicht weiter als ins Disneyland und manchmal auch in ihre alte Heimat. Die Gedanken an zurückgelassene Familienmitglieder oder Heimweh holen die Familie in regelmäßigen Abständen ein. Wesentlich größer ist jedoch die Angst davor, in den Irak zurückkehren zu müssen. Glücklicherweise erhält die Familie kurz nach unserem Treffen die erleichternde Nachricht, für ein weiteres Jahr in Leipzig bleiben zu können. Zwar ist Deutschland nicht Disneyland, für Noor aber trotzdem definitiv ein weiterer Schritt in Richtung sichere Zukunft und der perfekte Ort, um ihre Träume leben zu können.