Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne Interview Distillery  

Als Distillery-Mitbegründer Steffen Kache in den frühen 90ern zusammen mit der „Gang“ die Leipziger Discos erforscht, ist ihm Techno bei Weitem noch kein Begriff. Prägend war so auch ein Besuch in der Leipziger Diskothek „Lollipop“. Steffen und die Jungs stehen plötzlich vor dem DJ „Westbam“ und machen erste Erfahrungen, wie es ist, bis zum Morgengrauen in der Menge zu stehen und die technoiden Klänge auf sich einprasseln zu lassen. Wir haben mit ihm über Distillery-Umzug, Team, Club und Politik gesprochen.

© Pauline Baumeister

Die Offenbarung, welch kraftvolle Energie in der Musik steckt, lässt Steffen nicht los. Er vertieft sich in eine der ersten Radiosendungen mit dem Fokus auf Techno. Im DDR-Radio DT64 moderiert DJ Marusha die Sendung Dance­hall. Einige Fahrten nach Berlin und Clubbesuche später stehen Steffen und seine Freunde auf einem Balkon gegenüber der alten Brauerei. Sie entscheiden kurzerhand, das Gelände mal „auszuchecken“ und im Handumdrehen ist die Distillery geboren. Mit gerade einmal 19 Jahren eröff­nen Steffen Kache und Crew den mittlerweile ältesten Club in Ostdeutschland, seit 2000 ist er ohne die Gang. Dennoch sieht man sich noch immer, dann als Gäste. Seitdem ist einiges passiert. Steffen Kache ist von Anfang an dabei. Erst der Umzug vom Brauereigelände an die Gleise, jetzt zur Messehalle 7. Er begleitet die Distillery und sie ihn.

Umzug – Wie, Wo, Was?

Vieles im Leben können wir mit einem weinenden und einem lachenden Auge betrachten. So auch hier die örtliche Veränderung. Und wo ein heiß geliebter Ort verschwinden muss, bieten sich plötzlich ganz neue Möglichkeiten. An der Messe in Halle 7 und dem angrenzenden Pavillon besteht sogar die Möglichkeit, gleich zwei Stätten zu bespielen. Hier ist Platz für Konzerte, einen großzügigen Freisitz und Chill-outs. Der Plan ist es, noch öfter Raum für Vielfalt geben zu können. Eigentlich soll Halle 7 nur die Zwischenlösung sein, doch mal sehen, ob ein Umzug zum Gleisdreieck, frühestens in 10 Jahren, dann noch gewünscht ist. Dort muss erst ein Bahnübergang gebaut werden. Umzüge wegen Wohnungsbau, Investorenentscheidungen und der Stadtpolitik betreffen eben nicht nur private Mieter:innen. Doch wenn die Entscheidung heute fiele, wäre die Tille wahrscheinlich noch da, so Steffen. Nicht zuletzt dank der wachsenden Entwicklung des Clubkulturverständnisses auch von politischer Seite aus. Die Messehalle 7 ist hoffentlich zwischen Ende dieses Jahres und Mitte nächsten Jahres bereit für Techno.                          

Wie geht es für das Team so lange weiter?

Fünf Festangestellte und das eigens zusammengestellte „Bauteam“ arbeiten weiter, der Rest von über 60 Mitarbeitenden aus den Bereichen Security, Bar, Garderobe und Awareness-Team müssen zusehen, wie ihnen die Überbrückung gelingt.

Ältester Club Ostdeutschlands: Wie bleibt man jung?

Ich sehe die Notwendigkeit ständiger Veränderung. Veränderung propagieren, positiv besetzen, ein junges Team um sich haben, dranbleiben und eben auch mal Aufgaben abgeben, für die man sich nicht mehr berufen fühlt. Nicht zuletzt ist zeitgemäßes, innovatives Booking das A und O.

Worauf wird beim Booking geachtet?

Hier entscheidet das Können der Künstler:innen. Wichtig ist uns auch die Vielfalt. Und glücklicherweise gibt es auch immer mehr weiblich gelesene DJs, wir achten zwar auf Gender Equality, aber nicht nur, um die Quote abzudecken! Jede ausgewählte DJ ist wegen ihrer Musik da und nicht, weil sie eine Frau ist.

Club und Politik, wie wirkt das zusammen?

Natürlich stehen wir viel mit den Behörden der Stadt Leipzig in Kontakt. Die politische Unterstützung der Stadt ist für uns wichtig. Zum Beispiel ist hier die Abschaffung der Sperrstunde dahingehend positiv zu nennen, der Rückhalt durch die Leipzig-Charta oder dass der Baubürgermeister in dieser schwierigen Zeit ein offenes Ohr für uns hat. Aber wir müssen verstehen, dass Clubs gesellschaftsrelevante Kulturstätten sind und wichtige Basisarbeit leisten. Daran arbeitet beispielsweise auch der sächsische Verband LISA „Live Initiative Sachsen“. Man sollte die Politik auch nicht immer nur kritisieren. Politik ist nur da, um Entscheidungen zu treffen, die Gesellschaft mit Leben zu füllen, ist aber Aufgabe der Individuen. Derzeit besteht allerdings der Wunsch nach mehr Flexibilität in der Verwaltung.

© Pauline Baumeister

Welche sind dir die liebsten Gäste?

Alle, die wegen der Musik kommen. Gäste, die Lust haben, sich auf Menschen einzulassen. Wer auch mal ein „Bitte“ oder „Danke“ fallen lassen kann und bereit ist, sich an dem Abend in die Gemeinschaft einzupflegen. Zu erkennen, dass du Teil des Ganzen bist und gleichzeitig den Respekt vor dem Club-Team zu bewahren. Gäste, die keine Dienstleistungserwartung mitbringen, sondern Bock auf Gestaltung haben. Wer gewaltbereit oder aggressiv wirkt, kann gleich zu Hause bleiben. Am liebsten kommen Leute mit einer positiven Einstellung, einem Lächeln auf den Lippen, aber vor allem wegen der Liebe zur elektronischen Musik.

Was liebst du an Techno?

Wenn Musik was mit Menschen macht. Musikalisch sehe ich die Schönheit in der Subtilität, verorte mich selbst am liebsten Richtung Trance/PsyTrance. In ausgeglichenem Verhältnis zwischen harten Beats und atmosphärischen Klangwelten. Ich will Menschen „wegfliegen“ lassen. Techno Clubs sind die Schnittstelle zwischen Mensch und Mensch. Die Möglichkeit, lebendige Gesellschaftspolitik zu machen und ideelle Vorstellungen zu leben. Techno hat die Kraft, mit guter Laune Energie zu sammeln, um sich wieder den schweren Themen widmen zu können. Es geht uns nicht um eine „Über-Politisierung“ des Club-Besuches, sondern um ein Bewusstsein für gesellschaftliche Brücken, die wir schlagen müssen, um weiter zusammenzuwachsen und uns den kommenden Herausforderungen unserer Zeit zu stellen. Wir müssen erkennen, dass es mehr Verbindendes als Trennendes gibt. Wenn sich auf der Tanzfläche Menschen begegnen, die sich an der Bushaltestelle keines Blickes gewürdigt hätten und zusammen die Musik zelebrieren, bin ich glücklich. Ich will Farbe reinbringen in unseren oft doch grauen Alltag.

© Pauline Baumeister

7 Schnelle Fragen an Steffen

Kaffee oder Tee | Nachteule oder früher Wurm I TechHouse oder Industrial | Matrix: Rot oder Blau I Schwimmen oder Skifahren | sitzen oder liegen I Zeit oder Geld

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