Interview: Michael Schulte

Seine Karriere begann mit Coversongs auf YouTube. Bei „The Voice“ belegte er den dritten Platz und holte Deutschland in Lissabon 2018 mit Platz vier aus der lang­jährigen ESC-Flaute: Die Rede ist von Michael Schulte. Der Singer-Songwriter aus Buxtehude ist 2022 auf Deutschlandtour und legt am 10. Oktober einen Stopp bei uns im Werk 2 ein.

Michael Schulte vor einem roten Hintergrund
© Ben Wolf

Schön, dass du heute Zeit für unser Interview gefunden hast. Wo bist du gerade?

Gerade bin ich zu Hause. Die letzten zwei Tage habe ich in Hamburg am Songwriting gearbeitet.

Du hast ja einige Konzert-Termine im Herbst – unter anderem am 10. Oktober bei uns im Werk 2. Welche besondere Erinnerung verbindest du mit Leipzig?

Ich weiß auf jeden Fall, dass in Leipzig immer wirklich schöne Konzerte waren. Ich war schon einige Male da – gerade auf meinen Deutschland-Tourneen. Ich habe aber auch einen nicht so schönen Moment in Erinnerung (lacht): Vor zwei Jahren hatte ich ein absolutes Blackout beim damals erfolgreichsten Song „You Let Me Walk Alone“. Da habe ich während des Singens überlegt, wie doof es wäre, jetzt den Text zu vergessen. Und dann habe ich ihn natürlich direkt vergessen! Sobald man anfängt, darüber nachzudenken, geht es los. Damals bin ich völlig rausgekommen. Das war mir sehr unangenehm. Trotzdem war es wiederum ein schöner Moment, weil die Fans mich total unterstützt und einfach mitgesungen haben. Das war zum Glück das einzige Mal, dass sowas passiert ist. Eigentlich bin ich immer sehr sicher.

So etwas bringt dich also aus dem Konzept … Würdest du sagen, du bist ein bisschen perfektionistisch?

Ja, ich bin schon ein bisschen perfektionistisch. Aber gut. Normalerweise denkst du als Sänger auf der Bühne nicht weiter darüber nach. Du singst einfach. Wenn man anfängt, darüber nachzudenken, was gleichkommt, ist das nicht gut. Da wird man zu verkopft und das geht nach hinten los.

Du hast „You Let Me Walk Alone“ eben schon angesprochen: Mir sind auch bei deinen Songs „End of My Days“ und „For A Second“ die Orchesterarrangements im Hintergrund aufgefallen. Die wirken recht opulent und brechen den Indie-Pop-Charakter ein bisschen auf. Hast du beim Songwriting oder in deiner Persönlichkeit auch einen kleinen Hang zur Dramatik?

(Lacht) Ich glaube, Orchester ist immer ein schönes Element. Gerade die Streicher. Klar, das gibt eine schöne Dramatik und Steigerung im Song. Ich bin jetzt nicht groß im Orchestralen zu Hause, aber gerade im Pop-Bereich wird ja öfter gern mit Orchester gearbeitet. Manchmal bringt auch ein rhythmisches Element einen schönen Drive. Leider hatte ich noch kein Live-Orchester mit auf der Bühne. Das ist logistisch etwas schwierig. Aber wer weiß? Vielleicht mache ich irgendwann nochmal eine Orchesterplatte.

Gibt es bei dir generell Zukunftspläne für eine Zusammenarbeit mit anderen Künstler:innen?

Momentan habe ich da niemanden auf dem Schirm. Aber ich bin immer sehr offen für so was.

Hast du gesangliche Vorbilder, die dich geprägt haben und mit denen du vielleicht arbeiten würdest?

Ich bin eher im ruhigen, melancholischen Indie-/Alternative-Sound unterwegs. Da habe ich mit Ben Howard und Bon Iver zwei, die ich sehr liebe. Wenn da mal was Gemeinsames zustande käme, würde ich nicht nein sagen. Das sind zwei der herausragendsten Künstler für mich.

Wer Bon Iver sagt, sagt sicher auch Taylor Swift. Die  beiden haben ja auf Taylors Platten „folklore“ und „evermore“ jeweils einen Song zusammen aufgenommen.

Ich bin jetzt nicht so Taylor-Swift-bewandert. Die hat natürlich viele starke Tracks, die man im Radio hört. Ist aber nicht zwingend das, was ich mir zu Hause anhören würde.

Und was würdest du dir – abgesehen von Bon Iver und Ben Howard – zu Hause anhören? Hast du ein bestimmtes Lieblingsgenre?

Es darf gern ein bisschen folkig sein. London Grammar mag ich auch sehr. Alles, was so einen leichten Indie- oder Alternative-Touch hat. Da könnte ich jetzt ganz viele Künstler:innen nennen.

Ähnlich wie Bon Iver verwendest du – zum Beispiel bei deinem Song „Falling Apart – teilweise dein Falsett (Kopfstimmenregister). Hast du bestimmte lyrische Passagen, in denen du diese emotionale Art deiner stimmlichen Performance besonders gern einsetzt?

Ich denke in so einem Moment gar nicht unbedingt, dass das jetzt besonders gut zum Text passt. Ich bin jemand, der sowieso erst die Melodie schreibt und dann den Text. „Falling Apart“ habe ich mit der Stimme und meinem Kumpel Nils Bodenstedt am Klavier geschrieben. Während des Singens bin ich in die Kopfstimme gerutscht, weil ich das Gefühl hatte, dass die Melodie da jetzt hinführt. Ich hatte auch nie Gesangsunterricht. Ich weiß nicht, was und wie ich es mache, aber es klappt irgendwie immer sehr gut. Auch der Wechsel von Brust- zu Kopfstim­me: Da gibt es Leute, die den Übergang technisch richtig gut beherrschen. Ich muss den Wechsel immer deutlich machen. Ich habe auch keine gelernte Atemtechnik. Für mich ist das alles autodidaktisch und kommt natürlich. Man muss sich selbst wohl fühlen und schauen, dass man seine Stimme fit hält.

Hast du bestimmte Rituale für deine Stimmhy­giene?

Tatsächlich nicht. Ich singe mich sogar nur selten ein. Ich bin stimmlich recht robust und immer schnell warm.

© Sandra Ludewig

Kommen wir noch mal zurück zu dem Folk-Charak­ter, von dem du bei deinen letzten Single-Ver­öffentlichungen wie „Stay“ etwas abgewichen bist, um dich einem eher elektronisch-poppigem Arrange­ment zuzuwenden. Wie kam es zu dem Wechsel?

Man geht ein bisschen mit der Zeit und probiert Neues aus. Ich mag es auch, meine Stimme für solche Songs einzusetzen. Zu Hause höre ich zwar trotzdem eher die ruhigen Sachen, aber auch hier im Pop-/Mainstream-Bereich bin ich gern zu Hause. Momentan habe ich da einfach Lust drauf.

Musikersein und im medialen Fokus zu stehen, heißt ja zunehmend, einem gewissen Druck ausgesetzt zu sein, sich politisch zu positionieren. Spürst du das stark? Wie gehst du damit um?

Ich spüre nicht superkrass, dass es von einem verlangt wird, eine bestimmte Haltung zu zeigen. Ich habe in der heutigen Zeit aber das Gefühl, dass man echt vorsichtig sein muss, was man sagt. Manchmal traut man sich auch gar nicht, seine Meinung zu sagen, weil alles direkt auf die Goldwaage gelegt wird. Teilweise kann der Anschein entstehen, dass man in einen Gruppenzwang hineingerät, wenn man nicht der Meinung der Mitte entspricht. Gerade Corona ist ja ein Thema, das polarisiert und jeder hat seine eigene Meinung zu den Maßnahmen. Ich finde es ein bisschen schade, dass man gleich „Querdenker“ist, wenn man kritisch ist – zum Beispiel gegenüber den Maßnahmen. Ich finde es wichtig, Meinungen zuzulassen, sofern sie okay dargestellt werden. Es gibt aber wirklich Kolleg:innen im Musik- und Schauspielbereich, die nieman­dem etwas Böses wollen, aber medial ganz schön zerrissen wurden, nur weil sie etwas anderer Meinung sind. Das führt dazu, dass man das Gefühl hat, seine eigene Meinung nicht mehr preisgeben zu wollen, da man Gefahr läuft, seine Karriere aufs Spiel zu setzen. Natürlich gibt es aber immer wieder Themen, zu denen man sich auf jeden Fall positionieren sollte!

Dementsprechend hast du 2018 beim Hörspiel „Kinder der toten Stadt“ (von Autor Thomas Auerswald und Komponist Lars Hesse) mitgewirkt. Das Stück erzählt von den gefangenen Kindern im Ghetto Theresienstadt, ihrem Leben und ihrer Ermordung in den NS-Todeslagern.

Genau. Das ist zum Beispiel ein Thema, bei dem es keine zwei Meinungen gibt. Das ist ein Teil der deutschen Geschichte, der nicht in Vergessenheit geraten darf, damit so etwas nie wieder passiert. Die Kinder, die heute geboren werden oder noch sehr jung sind, haben ja keinerlei Ahnung, was mal war und in welchem Land sie hier wohnen. Von daher ist es durchaus wichtig, dahingehend zu vermitteln.

www.michaelschulte-music.com

Michael Schulte ist am 10. Oktober 2022 mit seiner „Highs & Lows“-Tour im Werk 2 zu Gast.