Welche Sprache spricht „April“? Interview: Tim Bendzko

Tim Bendzko ist einer der sympathischsten deutschen Künstler unserer Zeit. Dieses Jahr bringt er nach mehr als drei Jahren am 31. März sein neues Album „APRIL“ auf den Markt. Wir durften vorab hineinhören und haben einen ganz neuen Tim kennengelernt. Stillsitzen fällt bei „April“ definitiv nicht leicht und der nächste Ohrwurm ist euch sicher. Passend dazu geht es im April auf Clubtour. Tim hat uns im Interview verraten, wie das Album entstanden ist, warum es „April“ heißt und wieso es mit der Tour zurück in die Clubs geht.

© Andre Josselin

April, der Monat, der bekanntlich macht, was er will. Dein neues Album heißt genau so: „April“. Du sagst selbst über das Album, es ist ein Auf und Ab, genau wie der Monat selbst. Was genau meinst du damit?

Das meine ich in vielerlei Hinsicht, es bezieht sich auf inhaltliche Sachen, also die Themen der Songs. Weil, so haben sich die letzten drei Jahre angefühlt. Man hatte irgendwie immer die Hoffnung, bald ist alles wieder normal und drei Wochen später hat sich das alles in die andere Richtung gedreht. Das ging immer so hin und her und mir ist da wieder aufgefallen, dass das natürlich nervig ist, aber gleichzeitig ich trotzdem aus so was auch Kraft schöpfe. Weil so etwas immer irgendwie einen Neuanfang in sich birgt. Und so kam ich dann am Ende auch auf den Titel, weil ich diese Songs und auch dieses Gefühl hatte von einem Hin und Her. Trotzdem bin ich total motiviert, wenn etwas Neues passiert. Wenn bei mir etwas in die Hose geht, entsteht in mir der Drang, etwas Neues zu machen. Jetzt, wo das Album fertig ist, bezieht sich der Name auch darauf, wie das Album entstanden ist. Ich glaube, vor zwei Jahren schon mal behauptet zu haben, dass das Album fast fertig ist. Hab dann aber immer irgendwie gedacht, ich muss jetzt noch mal so einen Song oder so einen Song schreiben. Auch wenn ich es nicht doof fand, was ich schon hatte oder so, das hat sich einfach so entwickelt. Mit dem Ergebnis, dass jetzt von dem Album, das vermeintlich vor zwei Jahren da war, nichts mehr übrig ist. So ist es jetzt ein ganz anderes Album geworden. Und so ist aus Chaos etwas entstanden, was ich supergeil finde.

Das ist, denke ich, auch irgendwie wichtig, dass Künstler:innen ihre eigene Musik mögen.

Das klingt banal, aber das ist das Entscheidende und auch das Schwierigste tatsächlich. Ich finde, wenn man erfolgreich sein will, dann wäre der richtigere und einfachere Weg, mehr vom Selben zu machen. Wenn man weiß, das hat funktioniert, dann mache ich von dem Song 30 Varianten. Das geht für mich leider nicht, auch wenn es wirtschaftlich besser wäre (lacht). Meine Motivation, Musik zu machen, ist da doch eher eine romantische. Ich habe da irgendwie schon immer eine Vorstellung im Kopf, wie es klingen soll. Die verändert sich natürlich, aber trotzdem versucht man, dem sehr nah zu kommen. Und das impliziert natürlich, dass da auch Veränderung passiert. Ich hätte ja nicht diesen Beruf gewählt, wenn ich immer nur das tun würde, was andere von mir erwarten. Das ist eine der Hauptmotiva­tionen, warum man überhaupt Künstler wird, weil man sich entfalten will.

Die Leute wollen deine Musik auch immer noch hören.

Ja, also mal sehen, ob den Leuten das so gefällt (lacht). Denn sie werden bestimmt den Eindruck haben, dass es der größte Sprung zwischen zwei Alben ist. Wenn wir jetzt das Album mit dem Allerersten vergleichen, dann sind die sehr weit auseinander. Aber auch zum letzten ist es, glaube ich, ein riesen Sprung.

Wann hast du dir das erste Mal gedacht: Jetzt ist es wieder Zeit für ein neues Album?

Also gedacht habe ich das schon im ersten Coronajahr. Da habe ich am Anfang bemerkt, dass alle um mich herum kreativ wurden und gedacht haben, jetzt können wir die Zeit nutzen. Das hat sich für mich ein bisschen komisch angefühlt, weil mein letztes Album da erst ein paar Monate alt war. Da saß ich dann zu Hause und dachte, ich hättejetzt schon gut Zeit, Songs zu schreiben. Aber worüber soll ich denn schreiben. Ich habe das doch alles erst im letzten Album verarbeitet. Deshalb habe ich die erste Hälfte des Coronajahres einfach mal nichts gemacht. Doch gegen Ende 2020 hin habe ich dann ein bisschen angefangen. Das ist dann besser gesagt erst mal nur Geschreibe, man schreibt, um zu schreiben. Ohne dass dabei konkrete Sachen entstanden sind. Mit der Zeit wurde das dann immer konkreter und am Ende des Tages sind die Hälfte der Songs erst in den letzten 4 Wochen im Dezember entstanden.

© Tim Bendzko

Also alles schon eher so kurz auf knapp?

Ich weiß nicht, wie man das beschreiben soll, eigentlich habe ich den Eindruck, wenn ich ein neues Album schreibe, ist es wie nach einer Sprache zu suchen. Wenn Worte meine Sprache wären (lacht). Also man sucht quasi ein bisschen die Sprache, die dieses Album spricht. Und das Problem ist: Der Tag, wo man es raushat, ist auch oft der Tag, an dem es erst richtig fertig wird. Im August habe ich beschlossen, dass das Album anders heißen soll. Vorher sollte es Paris heißen, dann habe ich beschlossen, es heißt jetzt April. Da war für mich klar, es muss auch einen Song geben, der so heißt. Ich habe dann wirklich eine Liste geschrieben, was für Songs ich dafür noch schreiben muss, und die haben das Album total verändert. Es geht dann ganz leicht von der Hand, weil man plötzlich weiß, wie die Songs sein sollen. Den letzten Song „Zu viel“ habe ich in drei Stunden geschrieben und aufgenommen. Da wusste ich genau, was passieren sollte, manchmal sind es aber auch drei Wochen. Das geht auch.

Was sind deine Inspirationsquellen beim Songschreiben?

Eine Inspiration für mich ist es, Mensch zu sein. Dinge und Sachen zu erleben, die einen bewegen. Wir merken oft eher unbewusst, dass wir Sachen mit uns rumtragen, die uns noch doll beschäftigen. Auch wenn man sich nicht hinsetzt und direkt darüber nachdenkt. Oft sind es die Sachen, die wir nicht bewusst mitbekommen. Ich merk das meist so ’n Jahr später. Dann kommt eine Eingebung und ich denke: Das ist ein gutes Thema und mir fallen plötzlich Zehntausende Situationen ein, in denen ich mich so gefühlt habe. Dann ergibt sich das immer so daraus. Also das ist jetzt nicht so, dass ich einen Baum sehe und denke, ich schreib einen Song über einen Baum. Für mich klingt das Wort Inspiration immer so, als wenn man irgendeinen Auslöser hat, den man mitbekommt. Das habe ich halt nicht, eigentlich, wenn, dann nur ganz, ganz selten. Oft ist es so, dass mir ein Wort oder eine Zeile einfällt. Zum Beispiel die Single „Parallelwelt“, das ist so ein Beispiel von den Songs, die ich ganz am Ende geschrieben habe. Das Wort hatte ich davor so oft gesagt, darüber musste ich dringend einen Song schreiben. Es ist also nicht so, dass mir das einfällt, wenn ich das Wort sage. Das ist später mehr wie so eine Eingebung.

Welcher ist dein Lieblingssong auf dem Album?

Immer der Letzte, den ich geschrieben habe. Das ist auch ein bisschen eine Gefahr. Jetzt habe ich zum ersten Mal ein Album über einen so langen Zeitraum geschrieben und auch währenddessen schon Songs veröffentlicht. Da besteht die Gefahr, dass man alles Ältere, was man da geschrieben hat, nicht mehr gut findet. Weil man alle neuen Sachen natürlich viel, viel besser findet. Der aktuelle Song ist immer der beste Song, den ich jemals geschrieben habe. Deshalb ist es jetzt gerade „Zu viel“, das ist der letzte, den ich geschrieben habe. Den habe ich auch die letzten Tage so richtig unangenehm, immer, wenn ich mit dem Auto bin, mal angemacht, um dazu durchzudrehen. Ist eigentlich nicht so meine Art, meine eigenen Songs zu hören. Das wird auch wieder aufhören, aber wenn die noch so frisch sind, dann ja. Da sind schon einige Songs auf dem Album, die richtig Spaß machen, vor allem musikalisch. Dazu kann man auch mal ganz gut im Auto durchdrehen. Ich würde aber auch „Parallel­welt“ ein bisschen herausheben, weil das schon einer der besondersten Songs ist, die ich bisher so geschrieben habe.

2023 geht es nun 12 Jahre zurück zu den Anfängen deiner Karriere: Du spielst in kleineren Locations. Warum hast du dich für eine Clubtour entschieden?

Tatsächlich, weil ich in den letzten Jahren so ein bisschen gemerkt habe, dass es sich musikalisch in eine andere Richtung bewegt. Musikalisch ist auch alles ein bisschen clubbiger. All das in Verbindung mit der ganzen Livebranchen-Situation ist die perfekte Kombi, das in Clubs zu machen. Ich hätte auch nicht gesehen, dass die Leute sitzen. Bei dem, was wir da machen, kann man auch nicht sitzen. Musikalisch passt es gut dahin und in diesen Zeiten ist es auch besser, es lieber eine Nummer kleiner anzugehen als zu groß. Es ist dann auch alles näher dran und ich habe da schon richtig Bock drauf. Wir spielen diesmal auch mit einer superkleinen Band. Es ist schon etwas experimentell, was wir da machen. Das passt, glaube ich, sehr gut in einen Club. Und ja, es sind kleinere Locations, es ist aber trotzdem immer noch riesig mit, glaube ich, fast 3.500 Menschen in Berlin.

Habt ihr schon angefangen zu proben?

Innerlich ja (lacht), wir haben noch nie so früh angefangen. Man merkt, dass alle sehr aufgeregt sind. Wir haben seit 2011 eher 2010 immer in dem gleichen Set-up gespielt. Es ist jetzt das erste Mal, dass wir da deutlich was ändern. Eigentlich haben wir schon vor ein paar Monaten angefangen zu proben und mit der Band dann am 9. Januar. Dementsprechend merke ich, wie alle um mich rum nervös werden. Alle haben etwas Panik, dass wir das in der Zeit nicht schaffen, weil wir fast 25 Songs neu üben müssen. Wird lustig (lacht).

© Andre Josselin

Was erwartet deine Fans bei deinen Konzerten? Worauf können wir uns freuen?

Also songtechnisch werden wir natürlich auch unsere Klassiker spielen. Find ich auch superwichtig, dass man das macht. Es gibt ja immer die Frage, ob es noch Spaß macht, die alten Songs zu spielen. Hab ich total, weil ich großer Fan davon bin, den Songs so ein neues Gewand zu geben. Wenn ein Song so circa fünf, sechs Jahre alt ist, dann kann man davon auch mal eine Version spielen, die etwas spezieller ist. Damit die Leute die auch neu entdecken können. So wie „Keine Maschine“ oder „Nur mal kurz die Welt retten“, da spielen wir Versionen, die spektakulär sind. Und wir werden tatsächlich, glaube ich, alle Songs vom neuen Album spielen. Musikalisch wird man sich ein bisschen mehr dazu bewegen können, als man das erwartet.

Das letzte Konzert deiner April Clubtour Part 1 endet passend in Berlin, deiner Heimat. Und noch besser: an deinem Geburtstag. Hast du den Tour-Termin absichtlich auf diesen Tag gelegt oder ist das Zufall?

Bei dieser ganzen Aprilthematik spielte es natürlich auch eine Rolle, dass ich im April geboren bin. Da hat sich das natürlich angeboten und ich gehe damit einer Geburtstagsfeier aus dem Weg, was auch gut ist (lacht). Gleichzeitig ist es auch lustig, man hat an Geburtstagen immer das Gefühl, es kann einem nichts passieren. Auch mit fast 40 denk ich noch, das ist ein ganz besonderer Tag, obwohl es nur ein Tag von ganz vielen ist. Ich bin sehr gespannt, wie es ist, ein Konzert zu spielen in der Heimatstadt am Geburtstag. Vielleicht plant ja jemand für danach eine kleine Party, also ich werd‘s nicht machen (lacht).

Am 6. April bist du wieder in Leipzig und im Haus Auensee zu hören, mit 3.600 Plätzen einer deiner größten Locations nebenbei bemerkt. Welche Erinnerungen verbindest du mit der Stadt?

So viele Leute passen ins Haus Auensee – krass. Also tatsächlich habe ich ganz viele Erinnerungen daran, weil ich unglaublich oft schon im Haus Auensee gespielt habe. Das fing an, als ich Support für Silly war. Was, glaube ich, eins der ersten Supportkonzerte war, wenn nicht sogar das erste in 2010. Und dann fing alles langsam an, so die ersten Schritte, an die Öffentlichkeit zu gehen. Und sonst bin ich relativ oft in Leipzig, weil ich da ganz oft zum Fußball fahre. Das ist das, was ich vorrangig mit Leipzig verbinde. Deswegen habe ich da nur positive Erinnerungen. Die Videos, welche fürs Album gedreht wurden, haben wir sogar auch in Leipzig gedreht.

Gibt es Feature Artists auf deinem Album?

Ne, irgendwie nicht, aber da war auch keine Absicht hinter. So wie es auch bei den letzten Malen keine Absicht war, wenn es einen gab. Am Anfang habe ich immer ganz viel mit anderen zusammengeschrieben und am Ende dann mit immer weniger. Je mehr ich wusste, in welche Richtung es textlich gehen sollte, umso weniger wollte ich, dass ich da mit anderen zusammensitze. Weil ich das Gefühl hatte, das lenkt mich zu sehr ab.

Wie sieht dein perfekter Feierabend aus?

Ja, das übe ich tatsächlich noch. Denn ich neige sehr dazu, mir immer zu viele Sachen vorzunehmen, die ich machen könnte. Nicht nur vornehme, sondern ich mache das dann auch wirklich. Ich nehme mir quasi vor, meine Freizeit zu nutzen. Und das ist schon irgendwie der Fehler. Dass man versucht, seine Freizeit so richtig auszunutzen, was ja auch wieder in Stress ausartet. Das fühlt sich für mich nicht gesund an, zu denken, wie ich diese Zeit jetzt am besten nutzen kann. Meine Vorsätze für 2023 sind, wirklich weniger zu tun und auch tun zu wollen. Der perfekte Feierabend ist wirklich, vorher nicht zu wissen, was ich dann eigentlich mache. Am besten ist, dann Zeit mit meiner Familie zu verbringen und zu schauen, was man vielleicht Unschlaues tun könnte (lacht).

Übrigens: Wir verlosen 2×2 Tickets für die Show am 6. April im Haus Auensee auf www.urbanite.net!