Ich bin ein völlig anderer Mensch als ich es vor einem Jahr war“ – Andy Butler und seine Hercules and Love Affair besuchten einmal mehr Berlin. Mit nur einem einzigen Album hat das Projekt vor gut acht Monaten die „Disco Revolution“ (so DFA) ausgelöst und wird dieses Jahr wohl unzählige Jahrescharts anführen. Geführt hatte man Butler & Co auch und zwar in ein schmuckloses Standardhotel nebst des Postbahnhofes, in dem man am Abend im Rahmen des Electronic Beats Festivals auftreten würde. Nachdem Bandkollegin Kim Ann Fox zwinkernd dem Zimmer entschwunden war, sprachen wir auf Andys Bettkante über den Erfolg und die Identität seines Projektes, wahre Disco Music, Gender-Fragen und seine große Liebe.
urbanite:
Andy, vor gut einem halben Jahr kam dein Album raus und ging dann durch die Decke! Was waren deine Erwartungen als du es gemacht hast?
Andy Butler:
Oh, Ich hab gar nicht wirklich irgendwelche Erwartungen gehabt. Ich war einfach… Ich wusste, da es auf DFA (Anm. DFA Records aus New York u.a. LCD Soundsystem) erscheinen wird, und weil Antony (Anm.: Antony Hegarty wurde mit Antony & the Johnsons berühmt und kollaborierte u.a. mit Herbert Grönemeyer) singen würden, dass es einige sehr gespannte Leute geben würde. Denn sowohl DFA als auch Antony haben sehr loyale Fans. Also wusste ich, dass es eine starke Reaktion geben würde, aber ich hatte keine Vorstellung davon, was noch passieren würde. Ich war einfach glücklich ein Album aufnehmen zu können.
urbanite:
Mittlerweile nennt es DFA sogar „a Disco Revolution“. War das im Geheimen vielleicht doch dein Plan?
Andy Butler:
Nein, definitiv nicht. Ich hatte nie andere Ambitionen als einfach meine eigene Musik zu schreiben. Ich habe vor Jahren angefangen mit Disco beim Songschreiben zu spielen, so verfolge ich eher die Bassline und höre jede Menge Disco Music. Ich bin also viel mehr in dem aufgegangen, was ich kannte und mochte. Ich meine über die letzten sieben Jahre war ich von Leuten umgeben, die alle das selbe Interesse hatten. Es gab eine richtige Subkultur auf der ganzen Welt. Diese Leute liebten die Disco Music wirklich. Ich lernte viele von ihnen kennen, spielte und schrieb Musik für sie und wurde von ihnen inspiriert. Also gab es da definitiv eine Gruppe von Künstlern, die Disco Music liebten. Aber ich denke das Album ist viel mehr als das. Ich wollte ein Spektrum schaffen, dass – da wo ich lebte – so noch nicht existierte. Ich wollte diese Art von Freiheit, die Freiheit des Künstlers, um bestimmte Klänge zu entdecken und auszuprobieren.
urbanite:
Für eine lange Zeit drang aber kaum Musik aus dieser Subkultur heraus an die Öffentlichkeit. Letztendlich war das dir vorbehalten. Jetzt aber gibt es viele Künstler – besonders aus New York, wie etwa das ganze Italians Do It Better! Label oder in gewisser Weise auch Telepathe -, die offensichtlich auch einen direkten Disco Bezug haben. Gibt es jetzt etwa eine Art neue Bewegung?
Andy Butler:
Nun für mich es schwierig darüber zu sprechen, denn ich kenne sowohl Mike Simonetti von Italians Do It Better!, als auch diese Mädchen von Telepathe. Ich bin mit ihnen noch nie kreativ geworden und ich denke auch nicht, dass ich ein Teil dieser Szene bin. Ich nehme daran nicht wirklich teil, viel eher partizipiere ich an einer – wie ich sie nennen würde – traditionellen Dance-Szene, eine House-Music-Szene. Sicherlich kommen viele Bands aus Brooklyn und es gibt viele Bands, die etwas in New York bewegen, aber sieh mal: als Kim, Nomi, Antony und ich Hercules and Love Affair machten, hatte niemand von uns wirklich etwas mit jenen Leuten zu tun. Selbst DFA erschien erst drei Jahre später, nachdem ich mit dem Schreiben solcher Musik angefangen habe, auf dem Schirm. Wir waren gewisser Weise isoliert. Von daher ist es schwer für mich von einer Revolution oder einer echten Szene oder sowas zu sprechen. Daran haben wir nicht teilgenommen.
urbanite:
…okay…
Andy Butler:
Wenn ich über Disco rede, von Leuten, die selbst in der Disco Music involviert sind, dann von den Leuten, zu denen ich aufschaue bzw. die ich meistens hörte. Diese Leute waren eher von House Music sozialisiert; also weniger Indierock, weniger Rock’n’Roll, mehr Club. Leute wie Daniel Wang, Metro Area…
urbanite:
Frankie Knuckles, der dann sogar „Blind“ remixte…
Andy Butler:
… genau, genau. Natürlich auch all diese „klassichen“ Leute. Aber in den letzten zehn Jahren haben viele sich bewegt und an etwas mehr Disco ausprobiert. Ich denke ich bin also eher die Fortsetzung dieser Linie, als dieser ganzen Band-Indentitäts-Sache. Mike Simonetti und Italians Do It Better! etwa haben einen Punkrock- oder Hardcore-Independent-Hintergrund. Ich aber komme von der Club Musik.
urbanite:
Haben Hercules and Love Affair dennoch eine Band-Identität. Mal abgesehen davon, dass Antony nie mit euch aufgetreten ist, oder?
Andy Butler:
Nein, er hat nie mit uns gespielt. Es ist… ein Projekt – im traditionellen Sinne keine Band. Obwohl es eine Art Bandgefühl gibt, denn wir touren zusammen und sind eine bestimmter Zahl an Leute, der immer die selbe Musik über die letzten fünf Monate hinweg. Eigentlich ist es ein Versuch neue Musik zu schaffen. Für mich ist es ein Projekt, das ich als Vehikel nutze um meine Songs rauszubringen. Also lud ich andere Künstler und DJs ein, um mir zu helfen dies zu realisieren. Aber deshalb gibt es noch keine „Band“. Am meisten verbunden, sowohl auf persönlicher wie auch auf ästhetischer Ebene, fühle ich mich mit Kim Ann Fox. Sie ist wohl die einzige richtig feste, andere Person in diesem Projekt. Jeder andere ist eher Gast und nimmt in unterschiedlichster Weise am ganzen Teil.
urbanite:
Wird das Projekt auch über die Europa und Australien Tour hinaus weiterbestehen und wird es ein zweites Album geben, mit neuen Features etwa?
Andy Butler:
Ja, daran wurde bereits gearbeitet und schon einiges aufgenommen. Einige Stücke sind schon geschrieben und fertig, es gibt viel neues Material. Daneben gab es auch viel, was es nicht auf das erste Album geschafft hatte. Ungeachtet davon werde ich immer Musik schreiben, Remixe machen… einfach das tun, was ich gerade tue. Das existiert auch ohne eine Veröffentlichung oder die Plattenindustrie. Das bin und bleib einfach ich.
urbanite:
Eines dieser Dinge war bestimmt Herkules große Liebe. Was ist aus dem Mann geworden, für den du „This is my Love“ geschrieben hast?
Andy Butler:
Er ist immer noch mein Freund. Er ist… Das ist wirklich ein gutes Beispiel dafür, wie ich versucht habe zu verstehen, was Liebe ist. Mit den verschiedenen Gesichtern von Liebe und Verlust, Emotion, Romantik, Sex und Verlangen umzugehen. Ich wurde einfach dazu getrieben, diesen Song zu schreiben, denn ich dachte ich hatte jemanden wirklich besonderen gefunden. Verstehst du?
urbanite:
Voll und ganz. Hat die neue Erfahrung des Tourens euere Beziehung verändert?
Andy Butler:
Oh, das hat es definitiv. Es ist herausfordernd und eine weitere Lernerfahrung. Quasi gibt es einen Haufen an Songs, die geschrieben werden müssen, allein über die letzten sechs Monate. Zu Touren ist eine verrückte Erfahrung. Es gab viele Gedanken und neue Formen des Denkens in meinem Kopf, mit denen ich vorher noch nie auszukommen hatte. So ist das Leben halt. Ich bin zwar in keiner bestimmten Position, aber ich bin ein völlig anderer Mensch als ich es vor einem Jahr war… in mancher Hinsicht.
urbanite:
Du bist der Kopf des Projektes. Bist du Herkules, gibt es Parallelen zwischen euch?
Andy Butler:
Nein, der Name Hercules and Love Affair kommt einfach von diesem wunderschönen griechischen Mythos. Eine Geschichte, die mich persönlich sehr berührt hat. Er handelt von Herkules und einem seiner Liebhaber, und Herkules Herz ist bricht über dem Verlust seiner Liebe. Ich dachte es wäre einfach ein schönes Bild von diesem sehr maskulinen, starken Mann, der gleichzeitig sehr verwundbar, emotional und nun gebrochen ist.
urbanite:
Ist das gleichzeitig auch ein männlicher Sterotyp, der dich schon immer angezogen hat?
Andy Butler:
Ich denke, dass das tatsächlich ein sehr interessanter Gedanke ist, aber Männer im Algemeinen immer dazu hochstillisiert werden hart und rau zu sein oder den starken Führer zu mimen. Ich dachte, dass das ein ganz besonderer, weisender Mythos war, denn über den stärksten Mann des ganzen Planenten wurde in der antiken Welt zur selben Zeit erzählt, wie er unter seinem Herzschmerz litt und von der Gnade seiner eigenen Gefühle abhing. Das ist wirklich interessant und ich denke das genauso diese ganze Gender- und Sexualitäts-Thematik in sich sehr limitierend ist. Möglicherweise war das hier auch ein Statement um einen Gegenpol dazu zu schaffen.
urbanite:
Ist es der Benefit eines Künstlers, diese Grenzen brechen zu können?
Andy Butler:
Ich denke ja. Für mich war das Benutzen genau dieses speziellen Mythos eine Art Statement oder Kommentar dazu, wie wir Menschen sind, wie wir sozialisiert werden. Das ist ein Luxus und gehört zu den lustigen Aspekten des künstlerischen Schaffens. Du bist in der Lage Normen zu hinterfragen und Leute zum Nachdenken zu bewegen. Oder du kannst dir auch selbst Fragen stellen und diese dann offen erkunden – Dinge entdecken und erkennen, Dinge, die dich verwirren. Während meines bisherigen Lebens habe ich daraus Kunst gemacht, denn sie garantiert, dass man sich damit weiter auseinandersetzt und Leute damit bewegen kann.