„Manchmal frage ich mich schon, was ich da tue.“

Paula Winteler und Samuel Sandriesser sind neu im Ensemble des Schauspiel Leipzig und neu in der Stadt. „Letzte Station Torgau“ ist ihre erste gemeinsame Produktion. Zwischen Paulas Probe zu „Das Gespenst von Canterville“ und Samuels Abendvorstellung von „America“ haben wir uns im Schauspiel Leipzig getroffen und über Theaterklischees und Träume gesprochen.

© Karolin Berg

Ihr wart an Schauspielschulen in Essen und München. Leipzig ist euer erstes Engagement. Wie nehmt ihr die Stadt wahr?

Paula Winteler: Wenn man in der Schweiz aufwächst, ist man schon an so eine Grundschönheit gewöhnt, mit so Bergen und alles reich und sauber. Während meines Schauspielstudiums habe ich im Ruhrgebiet gewohnt. Das war erst mal ein Kulturclash. Da habe ich mich über ganz kleine Sachen gefreut. Wenn mal eine Pflanze geblüht hat, dachte ich: „Oh, wie schön.“ In Leipzig war ich völlig überfordert von der ganzen Schönheit und dem Grün.

Samuel Sandriesser: Für mich war es sehr interessant, den Osten Deutschlands kennenzulernen. Das ist uns beiden bei der Arbeit für „Torgau“ aufgefallen: Es ist was ganz anderes, wie das hier verhandelt wird und was für eine Relevanz das hat.

Hat sich euer Tagesrhythmus im Festengagement stark verändert?

Paula: Der Tagesablauf ist jetzt sehr geregelt. Im Studium hat man sich gegen Ende eher selbst organisiert. Jetzt kriegen wir um 14 Uhr den Probenplan für den nächsten Tag. Da weiß ich dann ganz genau, wann ich wo sein muss. Vom Arbeitsaufwand ist es anders, aber auch – viel.

Samuel: Man muss seine neue Rolle verstehen. Eine Ausbildungssituation ist einfach anders. Ich spiele jetzt eine Vorstellung für die Leute hier, in einem Theater für die Stadt, das finde ich besonders schön. Auch, wenn man erst in Leipzig angekommen ist, verbindet das einen direkt mit der Stadt.

Hättet ihr einen Plan B gehabt?

Paula: Kurz bevor ich gesagt habe, ich mache das mit dem Schauspiel jetzt wirklich, hatte ich mich an der Uni Zürich für Geschichte und Politikwissenschaften eingeschrieben. Ich hätte die Schweiz wahrscheinlich nie verlassen.

Samuel: Ich wäre nach Wien gegangen.

Paula: Ich liebe Zürich, aber ich bin so froh, da mal rauszukommen, Deutschland kennenzulernen.

Samuel: Es ist natürlich auch schon megaweitweg. Zu meiner Familie in der Nähe von Klagenfurt fahre ich achteinhalb Stunden mit dem Zug. Von dort bist du schneller in Rom als in Leipzig.

Welche Frage ist schlimmer: „Wie merkst du dir den Text?“ Oder: „Was machst du tagsüber?“

Samuel: Dass man tagsüber nicht arbeitet, das denken die Leute, glaube ich schon, ja. Oder auch: „Willst du lieber Theater oder Film machen?“

Paula: Oder: „Kannst du davon leben?“ Ich kriege immer Stress, wenn mich jemand fragt, welche Rolle ich gern spiele. Ich denke dann immer, „oh, jetzt muss ich was Bedeutendes sagen“.

Samuel: Aber es lösen sich Klischees auch immer wieder ein. Besonders am Anfang hat man noch so einen Außenblick auf die Situation: Was tun wir hier? Was ist das für ein Beruf? Erwachsene Leute treffen sich und spielen ein Theaterstück.

Paula: Das ist schon sehr lustig.

Was macht ihr in den Stunden vor einer Premiere?

Paula: Das frage ich mich selber auch. Immer wieder organisiere ich Last-minute-Premierengeschenke. Dann kritzele ich noch ganz schnell irgendwelche Postkarten und denke, hoffentlich habe ich keinen vergessen. Vor Vorstellungen versuche ich ein kleines Warm-up zu machen, zu mir zu kommen. (kurze Pause) Ach, ich weiß nicht, am Premierentag muss man gut gegessen haben und dann sich einfach draufsetzen auf diese Welle.

Samuel: Wenn ich Vorstellungen spiele, merke ich so gegen 14 Uhr die Dinge, die ich mache, sind dann darauf abgestimmt. Ich bereite mich geistig, körperlich, emotional vor. So absurd das klingt, aber man muss zum Theater fahren, sich umziehen. Das sind alles mechanische oder organisatorische Vorgänge. Aber die helfen, bereit zu sein für eine Vorstellung.

Paula: Ich bin da schon auch ein bisschen abergläubisch. Gerade bei den Premieren, die toi, toi, tois, die müssen schon sein. Ich mache mich immer ein bisschen drüber lustig, trotzdem brauche ich diese Rituale. Und wenn man einen routinierten Ablauf hat und dann fehlt etwas.

Samuel: Ja, man wird schon schnell etwas zwanghaft. Das stimmt schon. Es ist halt eine krasse Stresssituation.

Paula: Bei „Cabaret“ trage ich so einen Schnäuzer. Am Tag der Premiere fragte mich meine Maskenbildnerin, ob wir heute mal den anderen Schnäuzer probieren wollen. „Nein, nicht bei der Premiere!“

Manchmal verfolgt einen der Beruf bis in die Träume. Euch auch?

Samuel: Ja, ganz oft. Ich spiele zum Beispiel ein Stück, das ich schon mal gespielt habe, aber ich habe vergessen, den Text und die Abläufe wieder hochzuholen. Ich träume das so oft.

Paula: Ich kenne das umgekehrt. Bei der offenen Probe von „Cabaret“ hatte ich so ein Traumgefühl. Das war ja noch nicht die Premiere. Aber es waren ganz viele Leute da und wir hatten noch nicht mal unsere Kostüme. Mein Gedanke war: „Habe ich was verpasst?“

Typisch sächsisch: Lieber Kaffee oder lieber Gose?

Paula: Ja, für Begegnungen kann beides absolut wichtig sein. Das ist tatsächlich eine Frage, die ich mir stelle. Ich versuche gerade, ganz viele Leute kennenzulernen. Und dann sagt man schnell mal: „Hey, wollen wir uns auf einen Kaffee treffen?“ Und dann geht in meinem Kopf genau diese Frage um: Sage ich jetzt, „wollen wir uns auf ein Bier …“ oder „… einen Kaffee treffen?“. Es gibt Leute, bei denen weiß ich, da frage ich nach einem Bier und bei anderen nach Kaffee. Aber ich selber gerade eher Kaffee.

Samuel: Sagen wir mal so, es sind beides sehr essenzielle Mittel für den Theaterbetrieb.

Wenn ihr Samuel Sandriesser und Paula Winteler im Schauspiel Leipzig gemeinsam in einer Aufführung erleben möchtet, könnt ihr das im Stück „Letzte Station Torgau – eine kalte Umarmung“ oder ihr schaut in die Ins­zenierungen von „Das Gespenst von Canterville“, „Cabaret“ und „America“ rein. Aktuelle Termine findet ihr unter: www.schauspiel-leipzig.de