urbanite präsentiert Northern Lite im Felsenkeller „Mich konnte man noch nie gut irgendwo festhalten” Northern Lite im Interview

Vor dem Leipzig-Stopp am 27. Dezember 2019 im Felsenkeller haben wir mit Sänger Andreas Kubat über Nostalgie, Entwicklung und Obst, das man manchmal besser am Baum hängen lässt, gesprochen.

© Presse Landstreicher Konzerte
Wer in den Nuller-Jahren alt genug zum Raven war, kam eh nicht an ihnen vorbei, aber auch nachfolgende „Elektro-Generationen” schwörten und schwören auf sie: Northern Lite. Das Erfurter Duo macht seit 1997 zusammen Musik und riss mit Titeln wie „My Pain” oder „Do You Think of Me” nicht nur deutsche Fans mit. Am 29. November erschien mit „Evolution” das mittlerweile 13. Album der Thüringer, im Dezember geht es auf Tour durch Deutschland. Vor dem Leipzig-Stopp am 27. Dezember 2019 im Felsenkeller haben wir mit Sänger Andreas Kubat über Nostalgie, Entwicklung und Obst, das man manchmal besser am Baum hängen lässt, gesprochen.

 

Euer neues Album heißt „Evolution“, die letzte Platte trug den Titel „Back To The Roots“. Diese Besinnung auf die Vergangenheit und die musikalische und persönliche Entwicklung – spielte das in den letzten Jahren eine besondere Rolle für dich?

Auf jeden Fall. Als Musiker und auch als Mensch entwickelt man sich ja weiter. Also auf beiden Ebenen: Zum einen das Musikalische, natürlich. Der Geschmack verfeinert sich über die Jahrzehnte und auch die Sicht auf das eigene Schaffen. Northern Lite gibt es inzwischen 22 Jahre und es ist tatsächlich so, dass ich mir nicht jedes unserer Alben mit Genuss anhören kann (lacht). Das ist auch normal, man schreitet weiter und geht voran und lässt Dinge hinter sich. Das ist, glaube ich, in den letzten beiden Alben gut zu hören.

Zwei Titel auf der Platte heißen „Green Apples” und „Red Apples“, also grüne und rote Äpfel. Was hat Obst mit eurer Entwicklung zu tun?

Ich wollte zwei gegensätzliche Gefühle aufnehmen. Der Song „Green Apples“ beruht auf einem Spruch, den ich ganz ganz früher als Kind immer gehört habe, dass man die grünen Äpfel am Baum hängen lassen soll. Das ist natürlich im übertragenden Sinne gemeint: Wenn etwas noch nicht soweit ist, dann ist es nicht soweit. Manche Dinge sollen nicht sein – und wenn man es übers Knie bricht, dann klappt es meistens nicht.

Und dann wollte ich irgendwie einen Gegensatz dazu haben, das „pralle Leben“ sozusagen. Jetzt sind die Äpfel rot, jetzt nimmt man sie vom Baum. 

Wenn man so lange Musik macht wie ihr, hört man von seinen Fans auch öfter „Sie haben sich verändert, früher haben sie mir besser gefallen”. Warum wird Musikern manchmal die „eigene Evolution” übel genommen?

So etwas gibt es selbstverständlich. Das ist so eine Grundstimmung, die immer mal wieder vorkommt. Aber das hat man selbst auch mit anderen Bands, die habe ich auch. Ich glaube, es geht gar nicht darum, dass wir nicht mehr sind wie früher. Es gibt Leute, die so etwas sagen – die meinen Northern Lite vor zehn oder fünfzehn Jahren. Die meinen eigentlich ihre eigene Jugend, die nicht mehr da ist. Aber die können wir denen nicht wiedergeben. Das funktioniert leider nicht. Ich kann natürlich 30 Mal dasselbe Album aufnehmen, aber deswegen werden diese Menschen trotzdem keinen Bock mehr haben, jedes Wochenende die Nacht zum Tag zu machen und sich auch nicht mehr so fühlen wie früher. Ich glaube, es geht eher darum, dass man diese Zeit vermisst, in der man so frei war und sorgenlos. Und die Schuld dafür, die müssen sie ja irgendjemandem geben. Ich nehme das niemandem übel. Aber das Leben ist nicht so und ich kann das Leben auch nicht so machen für diese Leute.

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Ich glaube, jede Zeit hat ihre Reize. Die Musik hat sich in der Zeit weiterentwickelt, nicht alles davon ist super. Es gibt mittlerweile so viele verschiedene Richtungen von kredibler elektronischer Musik. Auch die Jüngeren fangen an, sich nach dieser Zeit, in der musikalisch alles etwas weichgespült war, wieder nach „härteren Sachen“ umzusehen. Da gibt es mittlerweile so viele Strömungen von Musik. Das ist doch auch in Ordnung. Ich möchte es gar nicht so haben, wie früher. Diese Nostalgie ist vielleicht ein wenig die Angst vor dem Neuen. Viele wollen immer mit der alten Decke im alten Sessel sitzen. Ich habe gelernt, dass es besser ist, auch mal loslassen zu können und sich immer mal wieder auf etwas Neues einzulassen. Sonst hätte ich so viel nicht erlebt.

Vermisst du das „Früher” auch manchmal?

Ich glaube, wenn man über die Jahre ein wenig selbst reflektiert, dann sieht man das nicht so als Defizit. Ich meine, ich bin jetzt über 40 – logisch, dass ich nicht mehr wie vor 20 Jahren in einem Club in der Ecke liege und drei Mädels mitnehme. Das funktioniert nicht. Und das will man auch gar nicht mehr. Die Zeit hat man gehabt. Und ich möchte auch nichts mehr hergeben, von dem, was man mit der Zeit dazugewinnt. Man hat ja auch viel Blödsinn gemacht, ganz viele Dummheiten. Ich vermisse es nicht. Ich fand‘s schön und es ist auch schön so, wie es jetzt ist. Ist ja schließlich nicht so, dass ich keine Dummheiten mehr mache …

Es ist bei mir aber auch eine andere Ausgangssituation. Ich habe so viele Clubs gesehen durch die ganzen Gigs, die wir gespielt haben – sodass ich schon ziemlich früh eigentlich keinen Bock mehr hatte auf laute Musik und viele Leute in meiner Freizeit. Ich möchte dann eigentlich immer genau das Gegenteil.

Ihr spielt seit 22 Jahren zusammen – wie funktioniert das?

Klar gibt es Phasen, wo man sich zwischendurch an die Gurgel geht. Aber auch das ist normal – 22 Jahre, so lange hält ja keine Ehe. Aber wir haben unseren Weg gefunden und wissen auch, wann jeder auch mal die Tür hinter sich allein zu machen und den anderen in Ruhe lassen muss. Das haut wirklich super hin.

Ich habe auch seit zwei, drei Jahren das Gefühl, dass sich bei uns etwas öffnet – kreativ und auch menschlich. Wir lassen uns auch mal auf ganz andere Dinge ein. Deshalb sind auch ein paar exotische Stücke auf dem Album und deswegen haben wir bestimmte Dinge auch einfach vom Album verbannt, die wir nicht mehr wollten. Die Freiheit nehmen wir uns. Und ich denke, das kommt ganz gut an.

Am 29. November 2019 kam die Platte heraus – wart ihr aufgeregt vor dem Release von „Evolution”?

Ja, bei dem war es wieder so. Das ist nicht bei jedem Album so, das ist jetzt die 13. Platte. Klar, das neueste Album ist immer das tollste. Im Rock‘n‘Roll ist immer das jüngste Kind das hübscheste – sagt man. Aber bei der Platte ist es wirklich anders – wir haben mir anderen Leuten zusammengearbeitet, zum Beispiel mit der Band MAMA, die wir auch im Label (1st Decade Records, Anm.d.Red.) haben. Das hat den ein wenig ins Stocken geratene Produktionsprozess entzerrt und alles vereinfacht. Dadurch bekam das alles so einen frischen Schwung, der mir sehr gefällt. Inklusive Band waren sechs Leute beteiligt. Und das ist natürlich klar, dass fünf weitere Paar Ohren andere Dinge hören. Eins plus eins ist dann nicht nur zwei, sondern es wird mehr als das.

Wo habt ihr die Songs aufgenommen?

Das wurde an verschiedenen Stellen aufgenommen. Einen Teil der Songs habe ich bei mir zu Hause aufgenommen. Ich habe ein mobiles Setup, das ich immer mitnehmen kann. Das passt in eine Tasche. Manchmal gehe ich auch für drei Wochen in ein Hotel und schaue auf einen See und dann kann es losgehen. So ist die Platte überall ein bisschen entstanden. Teilweise auch in Kalifornien, in L.A. Wir haben in Hollywood auch das Video für die neue Single „California“ gedreht. Ich habe dort inzwischen einige tolle Menschen kennengelernt, auch Freunde gefunden – auch Leute, die im Musikbusiness sind. Aber das passiert alles so nebenbei. Wenn man das eher spielerisch sieht, hat es meiner Meinung nach auch größere Erfolgsaussichten.

Euer Ursprung liegt in Thüringen, inzwischen lernst du die ganze Welt kennen. Hast du dir das Leben so vorgestellt, wie du es jetzt führst?

Natürlich nicht. Aber ich habe mir meine Freiheit schon immer selbst genommen. Ich bin mit 16 Jahren abgehauen von zu Hause – 1989 in den Westen über die grüne Grenze nach Ungarn. Mich konnte man noch nie gut irgendwo festhalten.

Im Dezember und Januar geht ihr auf Tour.

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Ich habe richtig Bock, das wird ein Riesenspaß. Es sind ja auch ein paar lokale Termine dabei, Jena zum Beispiel. Aber für mich hat beides seinen Reiz – wenn man vor 2.000 Leuten spielt, diese Energie, die da rüberkommt vom Publikum. Aber in kleineren Locations baut man natürlich eine Nähe auf zu den Zuschauern. Das ist ein ganz anderes Feeling. Ich möchte keins von beidem missen.

Ich freue mich darauf, wieder auf der Bühne zu stehen. Dieser Moment, wenn du auf die Bühne gehst und sich dieses Adrenalin in Selbstsicherheit verwandelt, nachdem du die erste Zeile gesungen hast … Das ist wie eine Spazierfahrt, ein Riesenspaß einfach. 

Am 27. Dezember 2019 führt euch die Tour nach Leipzig in den Felsenkeller.

Ja, wir haben schon öfter in Leipzig gespielt. Früher so auf illegalen Parties, auch mal in der Tille. Da haben wir sogar mal ein Jazz-Konzert gegeben. Ich habe 2012 ein Jazz-Album gemacht, „Wooden Play-grounds” mit einem Quintett – wirklich gute Musiker. Das war ein Spaß, wir haben eine Platte aufgenommen mit Northern-Lite-Songs auf Jazz und haben eine kleine Tour gemacht. Unter anderem auch in der Tille. 

Aber ich habe auch viele Freunde in Leipzig. Ich mag die Leute, sie sind den Erfurtern sehr ähnlich, sehr offen. Es ist auch eine Stadt, die mir politisch entgegenkommt. Ich komme fünf-, sechsmal im Jahr her.

L.A., Erfurt, Leipzig … Wo ist dein Zuhause?

Ich habe kein richtiges Zuhause. Ich habe eine Wohnung in Erfurt und eine in Berlin, aber ich möchte immer da sein, wo ich mich gerade wohlfühle. Ich kann überall arbeiten. Das ist das große Glück, das ich habe. Das nutze ich sehr exzessiv. Ich bin, glaube ich, ein Hippie, tief in mir drin.

Northern Lite „Evolution Tour 2019“

27. Dezember 2019, Felsenkeller

Einlass: 19 Uhr, Beginn: 20 Uhr

Tickets 25 € zzgl. Geb.