Andreas Loepki kam 2005 unmittelbar nach Abschluss seines Studiums in die Polizeidirektion (PD) Leipzig. Nach verschiedenen Tätigkeiten in geschlossenen Einheiten, die sich mit Fußball, Demonstrationen und Betäubungsmittelkriminalität befassten, arbeitete er kurzzeitig im Streifendienst und dann in der kriminalpolizeilichen Ermittlungsarbeit, ehe er 2013 in den Führungsstab wechselte. Seit 1. Januar 2014 ist der 37-Jährige Leiter des Direktionsbüros und kümmert sich hier unter anderem um Medienarbeit, politische Anfragen und Bürgerbeschwerden. Mit uns sprach er über die aktuelle Lage der Polizei, die Stimmung unter den Beamten, Kritik am polizeilichen Vorgehen und die Rolle der Polizei in der Gesellschaft.
Wir erleben derzeit eine Welle politischer Demonstrationen aller Couleur, Flüchtlingsströme, Fußballeinsätze – kann die so beanspruchte Polizei noch für den Bürger da sein?
Wir haben in der Vergangenheit keinen Hehl daraus gemacht – und da hatten wir noch nicht einmal die Situation mit wöchentlichen Demos, inzwischen sind es ja mehrere pro Woche – dass wir in einer personellen Lage sind, die es uns in einigen Bereichen erschwert, unsere Arbeit wahrzunehmen. Das kann sich für den Bürger darin äußern, dass er relativ lange an einem Unfall stehen muss, wo nur Blechschaden entstanden ist, der für uns in der Priorität weiter unten steht, da wir eine ganze Reihe von Straftaten zu bearbeiten haben. Momentan ist es so, dass wir als Polizei unsere Aufgaben noch erfüllen können, aber wir sehen da am Horizont schon Bedenken, die wir auch äußern.
Um es klar zu sagen: Sie können Opfern von Kriminalität nach wie vor schnell helfen?
Ja. Es ist nicht so, dass eine Straftat geschieht und wir sagen: „Wir können Ihnen da keine Hilfe leisten“. Unsere Kollegen am Notruf sind geschult, können klassifizieren, welches Geschehen ein unmittelbares Eintreffen erfordert. Aber in Fällen, wenn etwa jemandem das Fahrrad vor einer Einrichtung gestohlen wurde, braucht es nicht unbedingt einen Streifenwagen vor Ort. Da kann der Bürger auch selbst Anzeige erstatten. Es gibt da Möglichkeiten, und wir sind in der Lage zu helfen, aber teils eben mit zeitlicher Verzögerung. Das führt wiederum zu vermehrten Beschwerden von Bürgern. Und auch die Bearbeitung dieser Beschwerden bindet Zeit und Kräfte. Als Polizeidirektion sind wir schon der Meinung, dass wir unsere Arbeit besser und vor allem schneller erledigen könnten, wenn in gewissen Bereichen mehr Personal da wäre.
Wo sehen Sie aktuell die drängendsten Probleme der Leipziger Polizei?
Ein großes Problem ist es, dass die Polizei momentan die Trennlinie zwischen einem massiven Riss in der Gesellschaft bildet, der sich nicht zuletzt im Demonstrationsgeschehen äußert, insbesondere auf Leipzigs Straßen. Das wiederum mit teils gewalttätigem Hergang, der auf die Polizei zurückfällt. Ein weiteres Problem ist, dass ein Drittel der gesamten Kriminalität in den Zuständigkeitsbereich der PD Leipzig fällt. Wir haben fünf PD in Sachsen, ein Drittel der Kriminalität findet hier statt, davon ein Großteil im Stadtgebiet Leipzig. Da ist klar, wo der örtliche Schwerpunkt liegt, und sicherlich ist dort der größte Personalbedarf gegeben, insbesondere im Bereich des Streifendienstes.
Bundesweit gehen die Überstunden der Polizei in die Millionen, der Gewerkschaft nach bleibt die Kriminalitätsbekämpfung an manchen Orten schon auf der Strecke. Wie ist da die aktuelle Stimmung unter den Polizeibeamten?
Ich weiß aus eigenem Erleben, was es bedeutet, wenn sich die Dienstpläne innerhalb weniger Stunden mehrfach ändern, wenn aus Nachtschichten Tagdienste werden. Das sind Eingriffe in den Biorhythmus, die steckt man nicht einfach so weg. Schichtdienst ist nicht gesund. Zum Anderen ist die Nebenwirkung, dass die Kollegen ihre Familien nicht oder wenig sehen. Es ist eine Abkapselung vom Familienalltag. Die Stimmung ist nicht verzagt oder unterirdisch schlecht, aber wir sind schon an dem Punkt angelangt, wo man mal kritisch über das Dasein der sächsischen Polizei schauen, ein paar Dinge klar beim Namen nennen und dann auch Entwicklungsschritte für die Zukunft einleiten muss.
Gibt es bei der öffentlichen Wahrnehmung der Polizei Dinge, die Sie auch mit jahrelanger Berufserfahrung noch stören?
Die Polizei kommt selten, um Blumen zu überreichen. Uns trifft oftmals Unverständnis, Zorn, Gewalt. Damit muss man klarkommen. Aber uns stört, dass Handlungen der Polizei teilweise aus dem Kontext gerissen werden. Da wird uns vorgeworfen, wir würden Gruppen umzingeln, Leute vom Zaun ziehen, sie schlagen. Das Ganze wird von Personen berichtet, die anonym bleiben wollen. Es wird von Zeugen erzählt, die alles gesehen haben. Trotz vieler Smartphones hat niemand ein Foto, ein Video gemacht, Anzeige erstattet, Beschwerde eingereicht – nichts. Und dann behaupten manche Medien, wir hätten falsch gehandelt. Doch was lag vor? Eine Gruppe hat eine Polizeiabsperrung angegriffen, massiv beworfen, mit Aschenbechern und Zuckerstreuern, und wurde anschließend einer Personalienfeststellung unterzogen. Und weil sich Einzelne dieser entziehen wollten und die Polizei berechtigt unmittelbaren Zwang angewendet hat, muss man sich dann in der Öffentlichkeit den Vorwurf der Polizeigewalt gefallen lassen. Das andere betrifft die extremistische Kriminalität. Mancher sagt, rechte Gewalt richte sich gegen Menschen und linke „nur“ gegen Sachen. Ich glaube kaum, dass so eine Person je gesehen hat, wie Pflastersteine auf sie zufliegen, gespürt hat, wie eine Flasche sie trifft, erlebt hat, wie ein Kollege verletzt wird. Wenn man eine solche Erfahrung macht, könnte man auch wissen, von was man spricht.
Sie bewegen sich ja permanent in einem Spannungsfeld zwischen polizeifeindlichen Gruppen einerseits und überzogenen Erwartungen auf der anderen Seite.
Wir hören, dass unsere Deeskalationsstrategie viel zu lange ein Zusehen war. Auf der anderen Seite, wenn wir uns zum Handeln entschieden haben, wird zwangsläufig der Vorwurf einer Gewalttätigkeit laut. In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns, aber auch schon seit vielen Jahren. Das ist uns klar. Und letzten Endes rechtfertigen wir unser Handeln ja im Rahmen der Überprüfungsmöglichkeiten. Sei es durch Parlamente, Medienanfragen, gerichtliche Prüfungen. Da müssen wir dann geradestehen für das, was wir tun. Und ich denke nicht, dass es in der Vergangenheit so viele Beispiele gab, wo sich die Polizei gänzlich falsch verhalten hat.
Wird die Kritik an der Polizei – Stichwort Gewalt gegen Demonstranten, Stichwort Beamte, die nicht oder nur unzureichend Auskunft über ihre Maßnahmen geben – intern diskutiert?
Ja. Das muss es geben. Und prinzipiell muss jeder Beamte sein Handeln selbst rechtfertigen. Er muss auch einem von einer Maßnahme Betroffenen in gewissem Umfang die Gründe benennen können. Aber: Er muss ihm keine Rechtsauskunft geben. Das ist praxisfern. Wenn jeder von einer Polizeimaßnahme Betroffene mit dem Polizisten diskutieren kann, ob er rechtmäßig gehandelt hat, wenn er Widerspruch mit aufschiebender Wirkung einlegen kann, dann ist die Existenz der Polizei ad absurdum geführt. Dafür gibt es rechtliche Möglichkeiten. Aber im Regelfall ist das polizeiliche Handeln erforderlich. Und ich bin schon der Meinung, dass wir bei weit über 90% von Beschwerden im Nachgang feststellen können, dass die Kollegen rechtmäßig gehandelt haben. Dass dabei mitunter kommunikative Probleme auftreten, wo sich eine Situation hochschaukelt, sich beide Seiten nicht angemessen artikulieren, sei dahingestellt. Aber der rechtliche Boden ist eigentlich fast immer gegeben.
Welche Rolle spielt der Corpsgeist – Beamte, die nicht gegen Kollegen aussagen?
Das ist in hohem Maße ein Mythos. Jeder Polizist ist gesetzlich verpflichtet, Straftaten zur Anzeige zu bringen, und das betrifft auch Anzeigen, bei denen es um Kollegen geht. Das ist nicht leicht. Aber es wird von uns verlangt, und wir tun das auch. Einen Corpsgeist, dass wir uns gegenseitig decken und verleugnen, kann ich so nicht feststellen.
Hat die Leipziger Polizei Fehler begangen?
Natürlich. Der Polizei passieren jeden Tag Fehler. Sie schätzt Situationen falsch ein, sie beurteilt Personen falsch. Wir haben auch im Zusammenhang mit dem Demonstrationsgeschehen Fehler gemacht. Wir sind, als Legida die ersten Male marschiert ist, nicht konsequent gegen die Vermummung vorgegangen. Wir sind nicht konsequent eingeschritten, als Journalisten angegriffen wurden. Wir müssen aber auch dazu sagen, dass Journalisten dort in einem hohen Maße Angriffe beklagt haben, andererseits aber trotz unserer offensiven Aufforderung kaum Anzeigen bei uns eingegangen sind. Wir haben auch nicht immer zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle gestanden, wo wir es hätten tun können, wenn wir vorher die Information entsprechend bewertet hätten. Von einer Fehlerlosigkeit auszugehen, wäre vermessen.
Was sagen Sie den Urhebern falscher Anschuldigungen gegen Asylbewerber – Stichwort die Lüge, Sie wären im Globus-Markt auf Beutezug gegangen?
Ich glaube, an die Urheber brauche ich keine Botschaft richten, weil die sich solchen Botschaften konsequent entziehen. Ich denke, das sind Personen mit einem Weltbild, das deutlich rechts der Mitte angesiedelt ist. Ich glaube eher, dass die Botschaft der Polizei sich an die Menschen richten muss, die diese Meldungen ungeprüft teilen und sie für die Wahrheit halten. Und es ist bedenklich, dass eine Vielzahl dieser Personen ganz schnell das Wort „Lügenpresse“ im Mund führt, dann aber selbst einer Lüge aufsitzt. Insofern: Vorsicht, sorgfältig prüfen! Wir sind auch gern dazu bereit, auf Nachfrage Stellung zu beziehen. Hat es sich so zugetragen? Das ist der allemal bessere Weg, als es als Wahrheit anzunehmen, das zu teilen, das weiterzuschicken, und auch das Verbreiten einer Lüge kann bereits strafbar sein, sofern die Lüge strafbaren Charakter trägt. Da ist Vorsicht geboten und gesundes Misstrauen.
Was müsste angesichts der aktuellen Lage passieren, damit die Polizei von Erfolg oder Fortschritt spricht?
Für uns wäre es ein Fortschritt, wenn der Konflikt in der Gesellschaft zwischen einer mindestens konservativen Fraktion und einem bürgerlich-linken Lager konstruktiver geführt würde. Wir haben jetzt seit einem Jahr Demonstrationen in Dresden, seit Januar in Leipzig. Das kann nicht die Lösung sein. Beide Seiten wollen für sich etwas erreichen, und ich glaube nicht, dass wir da mit Schwarz-Weiß-Denken weiterkommen. Da spreche ich mit Sicherheit nicht alle Personen an, die auf beiden Seiten agieren, denn da sind überall Leute, die nur schwarz-weiß denken. Aber ich spreche Personen an, die Grautöne kennen. Es muss einer politischen Debatte zugeführt werden, wo man auch mal über den eigenen Schatten springt. Es ist für die Gesellschaft nicht gut und auch nicht für das polizeiliche Alltagsleben, dass Leute Woche für Woche ihren Unmut, der aus verschiedenen Quellen gespeist wird, auf die Straße tragen. Weil wir letzten Endes der Puffer sind, der das auszuhalten hat.
Momentan haben wir einen Schwebezustand, wo man nicht erkennen kann, dass sich für die eine oder andere Seite eine Besserung oder Lösung abzeichnet. Dieser Zustand ist schon viele Monate alt und scheint sich perspektivisch auch noch viele Monate zu dehnen. Auf beiden Seiten steigen die Personenzahlen wieder an. Wir haben ja schon im Frühjahr, im Frühsommer erlebt, dass sich einige im politischen Raum schon auf die Schulter geklopft haben, dass sich Pegida in Dresden totgelaufen hat. Da wurde schon ein bisschen verkannt, dass die teilnehmenden Personen immer noch da sind. Wir wollen, dass die Polizei entlastet wird, und zum anderen sind wir ja auch Teil der Gesellschaft. Wir sind nicht losgelöst. Auch uns erfüllt es mit Sorge, dass diese Kluft besteht und sich Woche für Woche so deutlich auf der Straße zeigt. Das tut keiner Gesellschaft gut. Als Polizei beziehen wir keine Position, wir bewerten die Inhalte nicht, aber wir sehen die Symptome und stehen jede Woche hautnah dran. Da ist eine Vielzahl von Kräften notwendig, die Politik sicher, aber auch nicht nur. Es muss auch auf niederer Ebene aufgegriffen werden. Da müssen Schulen, Kirchen, Sportverbände und so weiter Farbe bekennen. Und auch die Polizei ist da gefordert.