„Menschen sollen in normalen Wohnungen, in normalen Nachbarschaften leben können“, damit Integration gelingt (OBM Jung). Also dezentral – wie sieht das in der Realität aus?
P: Das Verfahren für dezentrale Unterbringung verläuft so, dass die Stadt einen Vermieter finden muss. Dann sollen Wohnungen in „normalen Nachbarschaften“ angemietet werden und Wohnhäuser, wo Menschen menschenwürdig untergebracht werden, aber auch den Kontakt zum gesamten Sozialbezugssystem haben sollen. Doch viele Vermieter haben damit Berührungsängste. Erst heute (7.8.2015) stand Folgendes in der LVZ: Es ging um ein Hostel im Süden Leipzigs. Dort sollten 10 Schlafplätze für Geflüchtete bereitgestellt werden. Alles war mit den Ämtern abgesprochen – als der Vermieter der Gesamtimmobilie das wohl mitbekommen hat, habe er darauf dem gesamten Hostel den Mietvertrag gekündigt. Dezentrale Unterbringung ist damit ein wunderbarer Ansatz, in der Realität aber rar: Das liegt an Hürden seitens der Stadtverwaltung, Bundesämtern als auch tatsächlich des täglichen Rassismus.
Wie kann man sich das Asylverfahren vorstellen?
P: Es läuft bundesweit so ab, dass wenn geflüchtete Menschen aufgegriffen werden, diese erst einmal in zentralen Sammelstellen untergebracht werden. Dort wird dann die Identität geklärt. Außerdem wird ein Fingerabdruckabgleich gemacht, wo in der Gesamteuropäischen Datenbank verglichen wird, ob die Menschen schon woanders versucht haben einzureisen. Dies würde dann das Dublin-2-Verfahren einläuten (Anm. d. Red.: Inhaltlich: Menschen, die in ein europäisches Land über andere europäische Länder einreisen, müssen den Asylantrag im ersten Einreiseland stellen). Damit hat sich Deutschland sehr aus der Verantwortung genommen – darüber geschieht auch ein Großteil der Abschiebung. Dann gibt es deutschlandweite Datenbanken – es ist so, dass Geflüchtete aus verschiedenen Staaten der Welt in bestimmte Bundesländer reinverteilt werden. Die offizielle Begründung ist, dass die dortigen Ämter für Migration und Flucht sich deswegen auf Hintergründe der Herkunftsländer spezialisieren können. Dann geht es in die zentralen Landesstellen, die sogenannten Erstaufnahmestellen – in Sachsen ist das Chemnitz. Theoretisch nicht länger als zwei Monate, praktisch oftmals viel länger. Nach Chemnitz zieht man dann in einzelne Flüchtlingsheime ein – mit Glück in einer dezentralen Unterbindung.
Gibt es in der Stadt Leipzig viele dieser dezentralen Wohnungsangebote?
P: Das Problem an der städtischen Vergabe ist, dass sich die Stadt natürlich die günstigsten Angebote (auch beim zentralen Wohnen) raussucht, weshalb das in vielen Fällen in struktur- und kulturschwachen Regionen der Stadt ist: z.B.: Schönefeld, Thekla, Nord-Gohlis. Doch leider geht der Trend bundesweit generell Richtung zentrale Unterkünfte. Es wird gerade über spezielle Einrichtungen geredet, für Leute, die sofort abgeschoben werden sollen – tatsächlich auch über gesonderte Heime für Menschen aus den Balkanstaaten.
Wo genau seht ihr das Problem bei zentralen Unterbringungen?
D: Wenn man den Leuten, die sich auf die Flucht begeben haben, mit Massenunterkünften antwortet – ist das weitestgehend kontraproduktiv für Menschen, die gerade traumatische Sachen durchgemacht haben. Damit macht man, ehrlich gesagt, die Scheiße noch beschissener.
P: Man darf ja nicht vergessen, dass in zentralen Heimen die Menschen auf engstem Raum in kleinen Zimmern zusammengepfercht werden. Nicht selten wohnt dann mehr als eine Familie in einem Zimmer. Ganz abgesehen vom medizinischen Faktor bei jenem engen Zusammenleben.
Wie schätzt ihr die Rolle des OBM Burkhard Jung in puncto Integration ein?
D: Stellvertretend ein Beispiel: Die Torgauer Straße. Dort befindet sich eine Massenunterkunft: abgedrängt im Gewerbegebiet, katastrophale Zustände. Schon seit längerem ist bekannt, welche Krankheiten da umgehen und welche menschenunwürdigen Zustände vor Ort sind. Die Stadt kommunizierte immer, dass das nur eine Übergangslösung sein und lieber dezentral untergebracht werden soll. Der letzte Stand ist jedoch, dass die Torgauer Straße wieder einfach nur saniert werden soll. Das kostet Unmengen an Geld und an der Situation wird sich nichts ändern. Der Standort bleibt abgeschottet! Ein inklusives Konzept kann dort einfach nicht aufgehen.
Gibt es so etwas wie „Refugees United“, das Sommerfußballcamp für Kids aus geflüchteten Familien, zu selten?
Ist der Alltagsrassismus in Leipzig greifbar?
P: Aus unserer privilegierten Position heraus ist er wahrscheinlich gar nicht so zu spüren, aber in Gesprächen mit Geflüchteten wird die enorme Präsenz – auch in der selbsternannten weltoffenen Stadt Leipzig – spürbar.
D: Vielleicht auch nochmal ganz konkret die Aufforderung an die Leserschaft: Der Alltagsrassismus wird sich nicht alleine erledigen – in Deutschland! Erst recht nicht in Ostdeutschland – erst recht nicht in Sachsen! Es bedarf einfach einer breiten gesellschaftlichen Gegenbewegung: Auf Demos sowie auch mit konkreter Hilfe vor Ort.