Ein schüchterner Teenie begeht in der frühen DDR einen harmlosen Streich, bezahlt dafür mit drei Jahren Gefängnis, kommt frei, lernt, studiert, erklimmt mit Ehrgeiz und Fleiß die Karriereleiter, lässt sich auch unter dem Diktat sozialistischer Mangelwirtschaft nicht beugen. Sein Bruder Horst hat den außergewöhnlichen Lebensweg Richard Böttges (1934-2015) in einem Buch dargelegt.
Inhalt
Ein 16-Jähriger, schüchtern und introvertiert, lässt sich unter Gruppendruck zu einem harmlosen Schabernack hinreißen. Was heute mit einer Ermahnung enden würde, hat in der frühen DDR des Jahres 1951 unvorstellbare Folgen: Wegen eines verunzierten Lenin-Porträts nimmt das Ministerium für Staatssicherheit Richard Böttge fest, sein Streich wird zur politischen Hetze erklärt und von einem sowjetischen Militärgericht mit 10 Jahren Arbeitslager bestraft. Fortan fristet der verschlossene Teenager sein Leben mit Schwerkriminellen hinter Gittern. Gnadenappelle seiner Eltern verhallen ohne Reaktion. Nach drei Jahren Haft kommt Böttge 1954 frei, schließt seine Ausbildung ab, beginnt ein Ingenieursstudium und macht eine erstaunliche Karriere im Bereich der DDR-Wärmeversorgung. Sein Bruder Horst hat die kurvenreiche Lebensgeschichte des 2015 verstorbenen Richard Böttge in Buchform nachgezeichnet.
Aufbau
Nach dem Prolog spannt das Buch den Bogen von frühen Kindheitserinnerungen im Nationalsozialismus hin zur Besatzungszeit und DDR. Geschildert wird die Haftzeit Böttges, eindrucksvoll durch Briefe aus dem Gefängnis untermalt, ebenso wie seine berufliche Laufbahn mit Stasi und Denunzianten im Nacken, allgegenwärtigen Herausforderungen der Mangelwirtschaft und Problemen im Betrieb. Auch die Nachwendezeit und Versuche der Rehabilitation werden beleuchtet.
Stil
Das Buch ist allgemein in einem gut verständlichen Stil geschrieben, leidet aber streckenweise an einer starken Fülle technischer und anderer Details.
Fazit
Böttge informiert in anregender Weise über einen ungewöhnlichen Karriereweg in Zeiten des Sozialismus und hält durchaus Einsichten bereit, die einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung leisten können. Trotzdem ist das Gesamturteil zwiespältig, was hauptsächlich daran liegt, dass der verständliche Zorn des Autors über das Schicksal seines Bruders immer wieder durchschimmert. Das führt teilweise zu vereinfachten Schlüssen, die zumindest ergänzt werden müssen. Ob eher mangelnde Fachkompetenz innerhalb der Stasi oder nicht vor allem die strenge Disziplin der Parteidiktatur ausschlaggebend für ihr Handeln waren, steht zur Diskussion. Dass der Justiz nach 1990 nur unzureichende Mittel zur „ordentlichen“ Bestrafung von Repression zur Verfügung gestanden hätten, greift zu kurz. Auch mehr sachliche Hintergrundinfos, etwa zur Stasi und ihrer Einbindung in die DDR-Wirtschaft, hätten den Eindruck verbessert. So bleibt das Fazit eines ambitionierten Werks mit zuweilen interessanten Passagen, dass sich streckenweise aber auch im Ton einer Generalabrechnung und zu vielen Details verliert.
Infos: www.mitteldeutscher-verlag.de – Drangsaliert und dekoriert – Horst Böttge – Sachbuch – Mitteldeutscher Verlag – ISBN 9783954625734 – 9,95€