urbanite:
Am Tag der Einheit wart ihr dieses Jahr Headliner der großen Show am Brandenburger Tor. Wie habt ihr diesen besonderen Anlass erlebt?
Stefanie:
Das war für uns bereits der dritte Auftritt, dieses Mal aber als letzte und vor einer unglaublichen Kulisse. So etwas spielt man auch nicht jeden Tag, da ist man schon sehr, sehr nervös. Natürlich macht es aber auch unglaublich Spaß, wenn an so einem Tag so viele Leute kommen. Da kriegt man auf jeden Fall absolute Gänsehaut.
urbanite:
Ich thematisiere ungerne extra eure Herkunft, aber war es noch etwas Besonderes als Band aus dem Osten nach 19 Jahren Einheit dort aufzutreten?
Thomas:
Für uns auf jeden Fall. Ich finde, Tage wie dieser oder der 9.11. als Mauerfall sind Daten, an denen man sich nochmal daran erinnern sollte, was es für es für ein kostbares Gut ist, in einer Demokratie zu leben. Das ist vielleicht schon zu selbstverständlich geworden und deshalb sind solche Tage bzw.Festivitäten gut. Wenn wir daran teilhaben können, ist das umso besser; mal ganz davon abgesehen, dass das eben so eine schöne Kulisse und ein schönes Konzert war, genauso wie eben der Hintergrund dieses Tages. Wir hatten vor kurzem das Glück, nach Kuba reisen zu können. Da findet man schon Parallelen zur DDR und da wird einem wieder bewusst, wie schön das ist, in einer Demokratie zu leben und sagen und tun zu können, was man will.
Stefanie:
An dem Tag überlegt sich auch: Wow, ohne den Mauerfall hätte es uns als Band vielleicht gar nicht gegeben und man hätte nicht hier spielen können. Aber insgesamt fühlen wir uns nicht als ostdeutsche Band,sondern als eine, die Musik macht und in Deutschland aufgewachsen ist.
urbanite:
Zur Wendezeit w art ihr zwischen fünf und acht Jahren alt, relativ jung also. Welche Erinnerungen habt ihr von damals behalten?
Thomas:
Ja, die sind natürlich etwas kindlich, weil man noch sehr, sehr jung war, aber ich persönlich erinnere mich daran, mit meinenEltern auf Demonstrationen gewesen zu sein. In diesem Moment war es am schönsten die Kerze in der Hand zu halten, den Hintergrund dazu hat man erst später verstanden. Mit wachsendem Alter hat man dann schon kapiert, dass da etwas in Bewegung war, dass etwas umgestürzt wurde. Das hat man auch als Kind schon mitbekommen. Man hat am Rande der Demonstrationen Leute gesehen, die sehr gewaltsam abgeführt und in Polizeiautos verfrachtet wurden. So etwas hat einen auch als Kind bewegt, man fragte, was los sei, und die Eltern haben es erklärt. Nach dem Tag des Mau erfalls ist mein Vater auch nach Berlin gefahren und hat danach davon erzählt, wieviele Leute da waren und wie bunt es war.
urbanite:
Neben dem normalen Alltag habt ihr als Künstler auch einen Einblick in die Backstageräume der großen Preisverleihungen und trefft andere Bands. Ist die Ost-West-Thematik da immer noch ähnlich präsent wie auf für der Straße?
Stefanie:
Wenn man sich auf einer Party trifft, kommt man eher nicht auf dieses Thema. Wenn man aber auf solchen Veranstaltungen spielt und sich mit den anderen Bands unterhält, fragt man schon den ein oder anderen, ob sie da auch spielen werden. Ich glaube, das ist eher ein Thema für die Medien, wir haben sehr viele Interviews dazu geführt und wurden sehr oft darauf angesprochen, aber vielleicht sehen die das von außen anders, als die Künstler selber. Wir sehen uns eben nicht als ostdeutsche Band, weil wir glauben, das sollte in unserem Alter auch kein Thema mehr sein, Unterschiede zu machen. Dennoch sollte es natürlich schon Thema bleiben, sich bewusst zu machen, dass es auch einmal anders war. Aber eigentlich ist es kein großes Gesprächsthema.
urbanite:
Eher dem Zufall geschuldet, kommen alle drei aktuell dominierenden deutschen Bands aus dem Osten: Neben euch sind das Tokio Hotel und Rammstein. Zwischen deren Extremen könnte man euch durchaus in der Mitte verordnen und neben dem Auftritt am Brandenburger Tor wurdet ihr auch zu den deutschenVertretern für den „Besten Europäischen Act“ der MTV EMAs 2009 gewählt. Sind Silbermond die Band der Nation, der Mitte geworden?
Thomas:
Also das Prädikat wollen wir uns selbst gar nicht aufdrücken, wir sehen uns nicht als politische Speerspitze von irgendetwas. Wir sind eine Band und freuen uns, wenn wir mit unserer Musik vielleicht Leute zusammenbringen können, wir mit den Leuten zusammen Spaß haben können. Dass jetzt gerade wir für bei den MTVMusic Awards an den Start gehen, hängt damit zusammen, dass so viele Leute für uns gevotet haben, was uns wirklich sehr freut hat und uns Stolz macht. Als Band der Mitte oder so sehen wir uns aber nicht, sondern wir machen einfach Musik – und das mit ganz, ganz viel Leidenschaft – und versuchen in unseren Texten auch Dinge, die in unserer Gesellschaft und dieser Welt oder uns persönlich passieren, aufzugreifen. Deshalb machen wir Musik.
urbanite:
Euer Auftritt war zugleich der Höhepunkt des Finales des Nachwuchswettbewerbes Coca Cola Soundwave Discovery Tour. Diesmal kamen alle drei Finalisten aus Baden Württemberg. Wie war die Qualität der Bands aus eurer Sicht?
Stefanie:
Witzig ist, dass wir die Gewinnerband schon ein kleines Bisschen kennen. Bei unseren Touren haben wir diese Supportaktion immer eine andere Vorband zu nehmen und The Rising Rockets haben da schonmal für uns gespielt. Deshalb war es für uns auch ganz lustig, sie dort wieder zu treffen und im Finale zu sehen. Das sie alle aus dem selben Bundesland kamen, kann nur ein Zufall sein, denn wir haben bei unser Aktion mitbekommen, dass in ganz Deutschland sehr viel Talent vorhanden ist, das muss man soll mal festhalten.The Rising Rockets hatten wir damals nicht umsonst ausgewählt – da war schon sehr viel Potential unterwegs.
urbanite:
Die Bewerbungsphase für die aktuelle Tour läuft gerade noch. Macht ihr vorher schon Stichproben?
Thomas:
Die Bewerbungen – von CDs und Briefen bishin zu ganzen Paketen – werden von unseren lokalen Partnern eingesammelt und dann in Kisten an unser Büro verschickt, wo sich dann ganz viele auf einmal stapeln, Stichproben gibt es vorher nicht. Wir gucken dann wirklich jede Bewerbung vollständig durch und haben dabei auch viel, viel Spaß, weil man sich in der ein oder anderen Band und derAkribie ihrer Aufnahmen oder des Paketsschnürens wiedererkennt. Das ist wirklich schön. Uns macht es vor allem Spaß, wenn wir sehen, dass es Leuten etwas bringt; dabei geht es überhaupt nicht darum, hiermit entdeckt zu werden oder den großen Coup zu landen, das wäre illusorisch,sondern dieser Band einen kleinen Baustein zu geben, damit sie auf ihrem Weg etwas dazulernen, ein paar Erfahrungen sammeln – uns hat das damals sehr geholfen.
urbanite:
Wie haben sich die Bewerbungen im Laufe der Jahre verändert?
Stefanie:
Die sind ein bisschen digitaler geworden. Es sind wesentlich mehr Myspace-Adressen dabei, was uns die Arbeit – ehrlich gesagt – etwas erleichtert, weil man auf so einer Seite eben sofort sehen kann: Wo kommt die Band her, wieviele Mitglieder hat sie, seit wann gibt es die Band schon, haben sie gerade aktuelle Konzerte; und dann kann man sich schon gleichzeitig die Songs anhören. Über den Sinn und Zweck einer Myspace-Seite für junge Bands kann man sich zwar streiten, aber für dieses Projekt ist es schon sehr, sehr vorteilhaft, aber wir hören uns natürlich auch CDs an.
urbanite:
Was hat sich bei den vertretenen Genren getan?
Thomas:
Es ist noch vielfältiger geworden. Wir sind manchmal auch erstaunt darüber, was für Bands uns so schreiben; das geht vom krassen Urban-Hip-Hop bis hin zu derbem Metal, das ist keine Übertreibung. Wir kriegen teilweise echt lustige Sachen. Da sind zum Beispiel ältere Bands dabei, die wir vorher meistens aussortieren, weil es uns darum geht junge Bands zu unterstützen, hinter denen noch keinriesiges Team oder Label steht, sondern es ist eine wirkliche Newcomerförderung. Da schreiben uns halt manchmal Bands, in denen 40-Jährige spielen, die dann Metalmusik aus den 80ern machen. Wir schließen aber überhaupt nichts aus, alles ist willkommen – von Hip-Hop über Funk, Soul , Jazz -, wenn die Musik berührt, uns bewegt und wir merken, da ist irgendwie Potential dahinter, dann laden wir die Band sehr, sehr gerne ein.
urbanite:
Im Video zur aktuellen Single „Krieger des Lichts“ doppelt ihr euch selbst. Technisch und schauspielerisch war das bestimmt nicht sehr einfach. Welche Erfahrungen habt ihr dabei gemacht?
Stefanie:
Wir wussten schon von vornherein, dass es sehr schwer werden würde, ein Video zu drehen, dass das aussagt, was wir mit dem Song aussagen möchten, ohne dass es zu heroisch, zu groß wird. Andreas (Schlagzeug) ist dann darauf gekommen, dass jeder von uns zwei Seiten in sich trägt und jeder hin und wieder mit sich kämpfen muss . Das wurde dann die Grundidee zum Video. Uns war dann auch klar, dass wir Doubles brauchen würden, wenn wir uns wirklich so gegenüberstehen wollen würden. Diese mussten ungefähr die selbe Größe und Figur haben, damit wir jemanden zum Anspielen haben würden und die Blickhöhen usw. passen. Zuerst haben wir bei Agenturen nachgefragt und da war aber kein einziger dabei, der so ähnlich aussah wie wir. Also haben wir uns gedacht, dass es am nächsten liegen würde, jemanden aus unserem Fankreis zu suchen. Die Bewerbungen waren dann sehr vielfältig und es waren auch ein paar passende Doubles dabei. Am Ende hatten wir dann verblüffend ähnliche Leute gefunden, die wurden dann noch etwas angeglichen.
urbanite:
Könnten die jetzt als zweite Silbermond touren gehen?
Thomas:
Nein, das wird wohl nicht möglich sein. Es war lustig, dass mein Double auch ein bisschen Gitarre spielen konnte, der Schlagzeuger war sogar einer und kam auch aus der Nähe vonBautzen. Johannes (Bass) Double war auch Schlagzeuger. Aber ich glaube bei Stefanie war es etwas schwierig.
Stefanie:
Ja, ich glaube, die Mädels singen nicht und haben alle einen anderen Job. Man könnte vielleicht als Playbackband darüber nachdenken.
urbanite:
Das Video verkörpert in gewisser Weise auch den Moment, in dem man morgens in den Spiegel blickt. Habt auch ihr Tage an denen euch das schwer fällt?
Thomas:
Auf jeden Fall. Das gehört ja zum Menschsein dazu, darum geht es in dem Song, um Menschlichkeit, um menschliche Attribute, Eigenschaften und darum diese für sich zu erkennen, damit klarzukommen. Jeder Mensch hat auch schlechte Eigenschaften. Da genau das auch dieses Lied sagen will, haben wir uns dann für dieses Video entschieden. Dieser Blick fällt einem manchmal leicht, weil man gerade eine gute Zeit, eine gute Phase hat, dann ist man mit sich auch im Reinen; aber es gibt eben auch Tage, an denen dieser Blick verdammt schwer fällt. Das wollten wir dort ausdrücken und ich persönlich bin sehr froh, dass wir uns so entschieden haben. Obwohl es anfangs gar nicht so aussah und nur in einer einzigen Szenerie stattfindet, war es doch der längste und anstrengendsteVideodreh bis jetzt, aufgrund des technischen Anspruchs. Ich bin dennoch sehr zufrieden damit.
urbanite:
Greift man an den beschrieben Tagen auch mal zur eigenen Musik?
Stefanie:
Musik zu Machen hilft da mehr als sich die eigene Musik anzuhören.Wenn wir eine Platte fertig gemacht haben, passiert es ganz selten, dass wir uns die danach nochmal anhören. Hin und wieder kommt mit zufälligenPlaylisten am MP3-Player auch mal ein Song vom ersten Album und man denkt sich: Ach, ist ja ganz nett. Aber man legt sich nicht bewusst die eigenen Platten ein. Entweder man legt Musik anderer Künstler auf oder macht eben selber welche.
urbanite:
Mit einem Alter von Mitte bis Ende Zwanzig seid ihr eine noch recht junge Band und präsentiert euch auch gerne so. Gleichzeitig haben viele Songs – wie auch „Krieger des Lichts“ – einen Appellcharakter. Woher nehmt ihr dieses Sendungsbewusstsein?
Thomas:
Das passiert eher unbewusst. Wenn wir Musik machen, dann tun wir das nicht mit Kalkül und überlegen uns auch nicht: Was könnte da draußen jetzt gut ankommen, damit wir hochcharten . Wir wollen dabei bestimmte Dinge einfach loswerden, um sie auch zu verarbeiten. In diesen Momenten, in denen eben der Blick in den Spiegel schwer fällt, hilft es mir ungemein, die Gitarre zu nehmen und einfach Musik zu machen. In der Regel kommt da immer eine Melodie und oft auch eine Textidee dabeiheraus und so entstehen dann auch unsere Songs. Wir treffen uns, machen ganz spontan Musik und schreiben das auf, was uns eben bewegt und wir beobachten. Deshalb gibt es keinen Song, den wir je mit Kalkül geschrieben bzw. wo wir dachten: Das müssen wir allen Leuten unbedingt mal sagen. Unsere Musik ist ein persönliche Geschichte, die uns durch unsere eigenen Leben hilft, und wir freuen uns, wenn andere zufällig auch Spaß an der Musik haben.
Silbermond „Krieger des Lichts“ Video: