Wenn es um die Flüchtlingsthematik geht, ist Passau nicht mehr aus den landesweiten Nachrichten wegzudenken. Direkt an der österreichischen Grenze gelegen ist die Universitätsstadt ein Ort geworden, an dem unzählige Hilfsbedürftige erstmals deutschen Boden betreten. Wie studiert es sich im Grenzgebiet? Und hat sich der studentische Alltag am schönsten Campus Deutschlands überhaupt verändert?
Wenn nicht gerade ein Jahrhunderthochwasser die Altstadt überflutet, bringt die 50.000-Einwohner-Stadt Passau nichts aus der Ruhe. Provinziell und entspannt studiert es sich hier, die Universität liegt direkt am Innufer. Vom bundesweiten Studentenmagazin UNICUM gab es dafür bereits die Auszeichnung „Deutschlands schönster Campus“. Verfolgt man die mediale Berichterstattung ist eigentlich klar, dass diese Ruhe verschwunden ist, als zu Spitzenzeiten im Herbst täglich bis zu 8.000 Flüchtlinge am Hauptbahnhof ankamen. Von Ausnahmezustand war die Rede, von Chaos, vom deutschen Lampedusa. Das muss sich doch auch auf das studentische Leben auswirken, machen die 12.000 Akademiker doch über ein Fünftel der Bevölkerung aus. Oder?
Passaus größter Trumpf: das ehrenamtliche Engagement
Erik Olcese, Student und Stadtverbandsvorsitzender der Jusos Passau, sieht trotz des Medienechos keine einschneidenden Veränderungen im Alltag: „Klar, die letzten Monate waren nicht einfach für Passau und viele Stellen haben versagt, aber die Stadt hat unbürokratisch und schnell mit Hilfe von unzähligen ehrenamtlichen Helfern Lösungen gefunden.“
Das ehrenamtliche Engagement ist Passaus größter Trumpf. Auf Facebook wurden schnell Gruppen wie der „Helferkreis Bahnhof Passau“ oder das Netzwerk „Passau verbindet“ gegründet, welche besonders bei der Koordination von Helfenden eine wichtige Rolle einnehmen. Ähnlich wie im Jahr 2013, als das Jahrhunderthochwasser große Teile der historischen Altstadt überflutete und meterhohen Schlamm hinterließ, haben sich engagierte Bürger untereinander über das Internet organisiert und konnten so zeitnah und ohne langwierige politische Entscheidungsprozesse Hilfe anbieten. Unterstützung vom Freistaat hätte freilich nicht geschadet, die Drei-Flüsse-Stadt hat sich so einmal mehr selbst geholfen. Das liegt auch an Oberbürgermeister Jürgen Dupper, der, anstatt durch Talkshows zu ziehen und Kampagnen zu führen, unbürokratisch und aktiv das Stadtmotto „Grenzenlos lebenswert“ der sozialdemokratischen Bastion im schwarz-regierten Bayern umsetzt.
Und die Studenten?
Es liegt an jedem Einzelnen. Wer sich auf sein Studium konzentrieren und sich nicht um Politik sorgen möchte, kein Problem. Der Campus ist seit jeher ein Mikrokosmos in der Kleinstadt. Einschränkungen gab es nur, wenn man zu Grenzkontrollzeiten über die Autobahn nach Passau kommen musste, was aber die wenigstens Studierenden betraf. Auch die Bewohner eines Wohnheims hinter der österreichischen Grenze konnten zu Fuß oder mit dem Rad ungehindert ihren fünfzehnminütigen Weg in die Universität zurücklegen, stichprobenartige Kontrollen gab es dort nur, wenn man mit dem Auto über die Marienbrücke wollte. Gehemmt ist und war das Tagesgeschäft an der Hochschule nicht. Auch die Kurse im Wintersemester fanden regulär statt. Was aber nicht heißt, dass die Universität das Thema ignoriert. So werden beispielsweise kostenlose Deutschkurse für Geflüchtete von der evangelischen Studierendengemeinde angeboten, oft sechs Kurse am Tag, welche bis auf den letzten Platz besetzt sind. Auch konnten sich durch persönliche Gespräche und Kennenlernen im Asylcafé oder in den Deutschkursen Tandems zwischen Studierenden und Geflüchteten bilden, sodass man in der Cafeteria regelmäßig Zeuge von Einzelunterricht sein kann. Wer sich engagieren möchte, der findet in Passau momentan genügend Gelegenheiten.
So wie Hannah Fürstenwerth, Studentin der Staatswissenschaften, welche sich für die Vermittlung von „Berufseinstiegspatenschaften“ engagiert. Viele junge Geflüchtete, die sich inzwischen in einer Ausbildung befinden und eine Berufsschule besuchen, sind vom Erlernen eines Berufs und den damit zusammenhängenden Fachbegriffen in einer noch fremden Sprache überfordert. Hannah und zwei Kommilitoninnen haben einen Verein gegründet, welcher Paten an Azubis vermittelt, um ein- bis dreimal in der Woche das Gelernte gemeinsam zu wiederholen. Mit einer guten Idee und Engagement kann jeder nachhaltig helfen.
Begriffe wie Ausnahmezustand oder Lampedusa sind nicht passend
Hannah und Erik sind sich aber auch einig, dass Begriffe wie Ausnahmezustand und Lampedusa nicht passend sind, das lassen die Passauer erst gar nicht zu. Kleine Veränderungen gibt es aber schon im Stadtbild. So sind mehr Polizisten unterwegs und im Einkaufszentrum in der Innenstadt sieht man viele junge Geflüchtete, die das kostenlose WLAN nutzen, um mit Zurückgebliebenen zu kommunizieren. Nachdem Demonstrationen während der letzten Jahre in Passau zur Ausnahme gehörten, ist nun auch hier das Auf-die-Straße-Gehen ein von allen politischen Gesinnungen genutztes Mittel, inklusive Gegenprotest. Positiv ist dabei nicht alles. Auch hier gab es Situationen, in denen Rechte den verhassten „Gutmenschen“ nach der Demo auflauerten.
So soll die Lage in Passau auch nicht schön geredet werden. Noch immer kommen täglich Sonderzüge am Bahnhof an, wo viele Helfer benötigt werden. Wurde die Info aber in den sozialen Netzwerken verbreitet, dauert es nicht lange, bis alle Schichten vergeben sind, viele davon an Studenten. Wer mit dem Thema nicht konfrontiert werden möchte oder mit dem Leid schlicht nicht umgehen kann, der kann es sich immer noch unbeschwert auf der Innwiese des schönsten Campus des Landes gemütlich machen und nichts von alledem mitbekommen.
Das geht. Auch in Deutschlands vermeintlichem Lampedusa.