Gestern hat Leipzig gezeigt, dass die Montagsdemos für Weltoffenheit stehen. Mehr als 30.000 Menschen versammelten sich zur Gegendemonstration NO LEGIDA am Waldplatz. Einige Meter weiter an der Red Bull Arena hatten sich laut Polizeiangaben etwa 4.800 Legida-Anhänger versammelt, um – wie der Titel schon sagt – als „Leipziger gegen die Islamisierung des Abendlandes“ zu demonstrieren.
Der Ableger der Dresdner PEGIDA-Bewegung war zahlenmäßig klar unterlegen. Die Organisatoren der NO LEGIDA konnten alle paar Minuten neue noch höhere Zahlen in Tausenderschritten verlauten, die ihren Weg zum Waldplatz fanden.
Während die NO LEGIDA-Demonstranten geduldig auf den etwas verzögerten Beginn der Kundgebung warteten, hatte man natürlich auch die Möglichkeit, die Demonstranten der LEGIDA zu beobachten. Dabei kam man schneller als man wollte, und auch befürchtete, in den zweifelhaften Genuss zu kategorisieren und es fiel das eine oder andere Klischee auf.
Was ist in den letzten 25 Jahren schiefgegangen?
Vorweg sei gesagt, dass es wie zu erwarten, viele ältere Menschen zur Red Bull Arena zog. Menschen, die tatsächlich Angst vor Scharia, Burka & Co. haben. Menschen, die wahrscheinlich nie näher Kontakt mit Muslimen hatten als im Ägypten- oder Antalya-Urlaub. Menschen, die im Fernsehen Bilder wie die des schrecklichen Paris-Attentats auf die Redaktion des Satire-Magazins Charlie Hebdo sahen. Menschen, die aufgewachsen sind in einer Welt, in denen das Reisen und Entdecken anderer Länder und Kulturen nicht zum Alltag gehörten und denen der Begriff Globalisierung nichts Gutes verheißt. Diese Menschen zeigen vor allem eines, was fehlt: Aufklärung! Da scheint in den letzten 25 Jahren ganz schön was schiefgegangen zu sein.
Demgegenüber musste man aber auch genau die eben erwähnten Klischees entdecken. Man möchte die ängstlichen Menschen von Leipzig fragen: Haben Sie sich das so vorgestellt heute Abend? Haben Sie sich vorgestellt, dass Sie in einem Marsch mit klar identifizierbaren Neo-Nationalisten laufen. Dass neben Ihnen, die deutsche Flagge schwenkend, faschistische Parolen gegrölt werden wie: „Ihr werdet eins sehen, die Kanaken werden irgendwann untergehen!“
„Fußballfans hauen sich gegenseitig auf die Fresse!“
Schnell zog auch das Gerücht die Kreise, dass sich rechte Fußball-Hools zusammentun, um Stunk zu machen. Gerade noch, als man den Wahrheitsgehalt dieses Gerüchts abzuschätzen versuchte, kommt ein Legida-Demonstrant zum nebenstehenden Polizisten und sagt: „Ohne Sinn und Verstand: Da hinten hauen sich die Fußballfans gegenseitig auf die Fresse!“
Schon im Vornherein meinte Die Linke-Politikerin Juliane Nagel, die auch die Gegenproteste mit organisiert hat, dass die Macher der LEGIDA-Bewegung wie vermutet aus der rechten Fußballszene, zum Teil aus der vor kurzem (jedenfalls offiziell) aufgelösten Fangruppe Scenario Lok stammen. Dass der Fünftligist 1. FC Lokomotive Leipzig ein Problem mit solchen Fans hat, ist nicht neu. Demgegenüber versucht sich der Club immer wieder zu distanzieren – mal mehr, mal weniger erfolgreich.
Noch vor der gestrigen Demo war klar, dass es sich bei den LEGIDAs um eine andere Art von Forderungen handelt – um eine extremere als in Dresden. Im LEGIDA-Positionspapier wird beispielsweise die „Beendigung des Kriegsschuldkults“ und „die Abkehr von der Multikultur und Stärkung bzw. Wiedererlangung unserer nationalen Kultur“ gefordert.
Schulterklopfer müssen warten: Leipzig muss stetig zeigen, wer hier das Volk ist
Am gestrigen Montag hat Leipzig zahlenmäßig das Gesicht gezeigt, wie sich die Heldenstadt gerne sieht: als weltoffene, demokratische, couragierte Stadt, die es sich vielleicht zum zweiten Mal zur Aufgabe gemacht hat, mit einer Friedlichen Revolution für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit (und wie OBM Burkhard Jung hinzufügte „Schwesterlichkeit“) einzustehen.
Wichtig ist jetzt vor allem eines: Sich nicht auf den Erfolg des gestrigen Montags ausruhen. Ja, wahrscheinlich ist es tatsächlich ein Ego-Boost bei solch einer zahlenmäßig überragenden Gegendemonstration dabei zu sein. Bei Facebook macht es sich auch ziemlich gut, für das offensichtlich Richtige einzustehen, das zu posten, zu liken und zu twittern. Doch Leipzig darf sein Gesicht nicht nur einmal bei einer eventartigen Veranstaltung zeigen, die obendrein auch noch Spaß gemacht hat.
Dass sich Leipzig wirklich von Dresden unterscheidet und dass die PEGIDA-Bewegung nicht wie in allen Medien deklariert wird „ein ostdeutsches Problem“ ist (übrigens, so viel zum Thema Mauerfall und 25 Jahre vereintes Deutschland …), kann nur mit weiteren Gegendemos gezeigt werden.
Die nächsten LEGIDA-Demos sind schon angekündigt. Man kann nur hoffen, dass den meisten Leipzigern, die gestern für ein offenes Leipzig applaudierten und ihre Stadt gerne die Heldenstadt nennen, in den nächsten Wochen nicht die Luft ausgeht. Es wird sich erst noch zeigen, wer hier das Volk ist und welchen Leipzigern der Montag gehört. Die Schulterklopfer müssen noch ein bisschen warten. Aber: Es war ein wirklich guter Anfang!
Schöner Kommentar, bis Montag!
netter artikel.