Stefan Ilsanker kam vor einem Jahr vom Schwesternverein Salzburg nach Leipzig, um mitzuhelfen, die Mission Bundesliga-Aufstieg zu erfüllen. Dem sympathischen Österreicher gelang das mit einer Führungsrolle im defensiven Mittelfeld. Nun steht für den Nationalspieler die EM 2016 in Frankreich an. Im Interview verrät uns der 27-Jährige seinen schönsten Moment der Saison, warum ihm das Nürnberg-Spiel negativ in Erinnerung bleiben wird, was Ralf Rangnick zum Aufstiegstrainer macht, wann er „als Depp dasteht“ und wer sein EM-Lieblingsgegner wird.
Glückwunsch! Ihr habt den Aufstieg geschafft. Versuch mal zu beschreiben, was in dir vorgeht …
Einfach Zufriedenheit, Erleichterung, Glücksgefühle. Aber natürlich bin ich auch stolz auf das, was wir erreicht haben. Das ist kein Selbstläufer gewesen. Wir mussten richtig hart dafür arbeiten. Der Trainer hat uns einige Werte und Statistiken mitgeteilt: Der Gegner ist gegen uns im Schnitt bis zu 4 km mehr gelaufen als in der restlichen Saison gegen die anderen Mannschaften. Uns hat keiner was geschenkt.
Du sagtest gerade, du verspürst auch Erleichterung. Es war schon viel Druck dahinter, oder?
Jein. Es war gewissermaßen Druck vorhanden, aber ich bin kein Spieler, der so etwas so nah an sich ran lässt. Letztendlich versucht man nur mehr Tore als der Gegner zu schießen. Das ist das Spiel (lacht) – ein sehr schönes. Uns macht es allen riesig Spaß – und solange wir diese Spielfreude auf den Platz bringen, ist alles andere drumherum eigentlich zweitrangig.
Du hattest dir am Anfang der Saison vorgenommen, ein Leader auf dem Feld zu werden. Würdest du sagen, das hat funktioniert?
Ja, wir haben eine sehr junge Truppe und es war klar, dass ich einer von den Spielern sein werde und sein möchte, die immer wieder vorangehen müssen, was nicht immer einfach ist. Ich wollte die Jungs immer wieder pushen. Das habe ich gemacht, so gut ich konnte. Ich hoffe, das hat man auch von außen gesehen.
Wenn man sich die Spielberichte anschaut, wird von dir oft geschrieben, du seist ein athletischer Leader für die Mannschaft geworden …
Ja … Mir ist aber vor allem wichtig, was der Trainer und meine Mitspieler von mir halten. Und da habe ich durchweg positives Feedback bekommen. Und an der Kritik, die an mir sehr konstruktiv geäußert wurde, werde ich auch auf jeden Fall arbeiten. Ich bin ziemlich selbstkritisch und versuche mich immer weiter zu entwickeln und zu verbessern.
Das heißt, du liest dir auch keine Spielberichte usw. durch?
Nein (lacht). Ich lese ganz gerne die Artikel von Guido Schäfer (Sportjournalist der LVZ, Anm.d.Red.), weil er einfach amüsant schreibt. Außerdem kommt er auch aus dem Sport, er hat Ahnung und weiß zudem selber, wie es ist, wenn über einen berichtet wird.
Was war dein schönster Moment in der Saison; was war weniger schön?
Der schönste Moment war die Jubeltraube in Fürth. Als wir in der Nachspielzeit das Ausgleichstor fangen und ich dann in der 4. Minute der Nachspielzeit doch noch den Siegtreffer schieße. Da sind alle Dämme gebrochen, gefühlt lagen 200 Mann auf mir drauf – das war ein reines Glücksgefühl.
Weitere Höhepunkte waren sicher auch die zwei ausverkauften Heimspiele gegen St. Pauli und insbesondere gegen den KSC. Das war sehr emotional, wie uns die Fans 90 Minuten bedingungslos anfeuerten und wie sie hinter uns stehen – das kann einen unfassbar tragen.
Ein weniger schöner Moment war die Partie in Nürnberg: Wir sind 1:0 in Führung gegangen und haben es dann aus der Hand gegeben, obwohl die Nürnberger eigentlich selber kein gutes Spiel gemacht haben. Man kann auch mal verlieren, aber wenn man das Gefühl hat, das war keine gute Leistung und man trägt selbst auch seinen Teil zur Niederlage bei, dann ärgert mich das maßlos.
Du sagtest selbst, ihr durftet nicht den roten Teppich auswärts erwarten. Wie geht ihr damit um? War das ein zusätzlicher Druck oder könnt ihr das ausblenden?
Keine Mannschaft wird auswärts mit Applaus begrüßt. Und für uns ist das auch überhaupt kein Thema. Wir konzentrieren uns auf das Geschehen auf dem Platz. Wenn uns die Leute auswärts mal auspfeifen oder nicht willkommen heißen, dann gehört das im Fußball auch mit dazu und das ist ok.
Nach einer Saison in der 2. Bundesliga: Was ist der größte Unterschied zwischen Österreichischer und Deutscher Bundesliga – außer dass es weniger Mannschaften sind und man vier Mal gegeneinander spielt.
Aber genau das ist schon der riesen Unterschied. Als Red Bull Salzburg verlierst du irgendwann mal eins der vier Spiele – und dann stehst du immer als Depp da (lacht). Die Spannung über 36 Runden hochzuhalten, ist sehr schwierig. Teilweise hast du innerhalb von drei Wochen auch drei Mal gegen den gleichen Gegner gespielt: Heimspiel, dann Cup, dann Rückrunde – und das vor 2.000-7.000 Zuschauern. Das ist einfach eine ganz andere Welt und hier sind die Auswärtsspiele fast immer ausverkauft – der Name RB Leipzig zieht in der 2. Bundesliga. Auch unsere Heimspiele waren immer mindestens vor knapp 30.000 Leuten. Das ist schon alles ganz anders in der deutschen Liga. Dementsprechend sind auch unsere Gegner aufgetreten: sie haben gefightet und gezeigt, dass sie gegen uns alles aus sich herausholen wollen – das hat schon Spaß gemacht.
Das hat man auch mal den Bayern nachgesagt: dass die Gegner gegen Bayern immer motivierter sind und mehr geben als gegen andere Mannschaften. Seit ein paar Saisons scheint es das Gegenteil zu sein.
Ja, jetzt kommt es mir vor, als ergeben sich die anderen Mannschaften mehr und mehr. Sie stellen sich hinten rein und wollen einfach nicht überrollt werden – so kommt es einem oft vor dem Fernseher vor. Es war bei uns in Salzburg teilweise auch schon so, dass sich die Mannschaften hinten reingestellt haben und darauf warteten, dass der Schiri abpfeift. Bei uns war es diese Saison genau das Gegenteil: Wenn die anderen 1:0 in Führung gingen, dann verteidigten gefühlte 22 Mann und noch der Mannschaftsbus hinten drin – das war teilweise schon sehr extrem.
Was erwartest du von der nächsten Saison?
Einige ausverkaufte Heimspiele und geile Auswärtsspiele. Ich freue mich auf Dortmund, Schalke – ach, ich glaube, jedes Stadion wird unglaublich spannend sein. Das Niveau wird sich noch mal extrem heben, die Gegner werden mehr Fußball spielen, was uns vielleicht sogar ein bisschen entgegen kommt. Es werden sehr attraktive Spiele werden. Und Highlights wie gegen Bayern und Dortmund – davon werde ich dann meinen Enkeln sicher noch erzählen.
Was ist das Ziel in der nächsten Saison? Es wird ja schon geliebäugelt, dass ihr die nächsten Bayern-Jäger werdet … du lachst.
Das ist natürlich zum jetzigen Zeitpunkt völlig vermessen. Wir sind das erste Jahr in der Bundesliga und der erste Schritt ist, dass wir uns von den Abstiegsplätzen von Anfang an entfernt halten. Alles Weitere wird sich dann sicherlich über die Jahre entwickeln.
Nächste Saison: neue Liga, neuer Trainer, neue Spieler – was erwartest du? Ganz schön viel neu …
Letztes Jahr war einiges mehr neu (lacht). Und wir haben uns trotzdem sehr gut gefunden. Wir haben eine Phase gehabt, in der wir fast jedes Spiel gewonnen haben. Von daher blicke ich der neuen Saison sehr positiv entgegen. Es werden sich nicht mehr so viele Spieler eingewöhnen müssen. Das System greift immer mehr und besser. Der neue Trainer wird auch offensiv und aktiv gegen den Ball spielen lassen. Daher denke ich, dass sich nicht so viel verändern wird.
Du hast unter Ralf Rangnick trainiert. Was macht Rangnick zum Aufstiegs-Trainer?
Auf jeden Fall das geballte Wissen, das er mitbringt. Er hat seine Philosophie – die zieht er konsequent durch. Hinzu kommt die Ausstrahlung, die er hat: Seine Ansprachen haben immer Hand und Fuß, er wählt die richtigen Worte – er ist rhetorisch einfach unglaublich gut. So was motiviert natürlich auch Spieler und das stachelt vor jedem Training und vor jedem Match noch mal extrem an. Du weißt dann einfach: wenn du alles gibst und einen guten Tag hast, kannst du gegen jeden Gegner gewinnen – dadurch gehst du mit einer breiten Brust voran. Das gibt der Trainer vor und das leben wir als Mannschaft dann genauso.
Ein bisschen Wehmut mit dabei, dass die Zeit vorbei ist?
Ich hatte vor der Saison gesagt, als noch nicht klar wahr, wer Trainer wird, dass es mir sehr gefallen würde, wenn er das Amt übernimmt – da war das überhaupt noch kein Thema. Letztendlich hat er das Amt dann tatsächlich übernommen, und er hat es unglaublich gut gemacht – während er die ganzen Geschicke im Hintergrund geleitetet hat. Er hat ein unglaubliches Arbeitspensum. Keine Ahnung, wie er das geschafft hat. Wahrscheinlich schläft er jetzt im Urlaub ein paar Wochen durch. Das war schon enorm, was er geleistet hat.
Du bist bei der EM 2016 mit dabei. Wie groß ist die Freude darüber?
Vorfreude war das erste Mal da, als klar war, dass wir dabei sein werden. Weil wir wussten, dass wir in Österreich schon beinah etwas Historisches erreicht haben – wir haben uns das erste Mal aus eigener Kraft für eine Europameisterschaft qualifiziert. Dass ich ein Teil davon war und viel Spielzeit gehabt habe, bedeutet mir viel und darauf bin ich schon auch stolz – nicht nur die Mama (lacht).
Auf welches Spiel würdest du dich am meisten freuen bei der Euro?
Wir haben auf jeden Fall drei Spiele in der Gruppe – und die werden alle meine Lieblingsspiele. Und jedes weitere Spiel wird dann natürlich mein neues Lieblingsspiel (lacht).
Wer wird Europameister?
(überlegt) Ich weiß es nicht. Lassen wir uns überraschen.
Rechnest du Österreich Chancen aus, Europameister zu werden?
Ich rechne uns auf jeden Fall dahingehend Chancen aus, dass wir eine gute Gruppenphase spielen. Wir stehen in der aktuellen Weltrangliste vor allen drei Gegnern. Wir haben uns jetzt einiges erarbeitet. Ob wir das so umsetzen können, wie wir das schon in der Quali gemacht haben, hoffe ich natürlich sehr. Und auch, dass wir nach der Gruppenphase noch in Frankreich sind.
Kannst du dir vorstellen, Europameister zu werden?
(lacht) Ja klar, kann ich mir das vorstellen. Aber ich glaube, das können sich die 24 anderen Teams auch ganz gut vorstellen (lacht).
• Das Aufstiegs-Interview mit Ralf Rangnick lest ihr hier.
Er verrät das Geheimnis des Erfolgs, warum er keine Wehmut verspürt, den Trainerposten wieder abzugeben, was auf die 1. Bundesliga mit RB Leipzig zukommt und wen er als Favorit bei der EURO 2016 sieht.
• Interview mit Emil Forsberg
Der schwedische Stürmer verrät, wie hoch der Druck auf RB Leipzig war, wie er seine torlose Phase überwand, was sein Teamkollege Zlatan Ibrahimović zum außergewöhnlichen Spieler macht und welchen Tabellenplatz er in der 1. Bundesliga anstrebt.