Revolution in Sachen Beziehungen „Freunde lieben“: Interview mit Ole Liebl

Wir haben mit Autor und TikTok-Creator Ole Liebl über sein neues Buch „Freunde lieben – Die Revolution in unseren engsten Beziehungen“ und die Beziehungsform Freundschaft Plus gesprochen.

Freunde lieben Ole Liebl
© privat

Ole Liebl ist Content-Creator und vor allem auf TikTok sehr bekannt. Bei seinen Videos dreht es sich immer um Themen wie Feminismus, Sexualität und Gender. Passend dazu hat er nun sein erstes Buch veröffentlicht: „Freunde lieben – Die Revolution in unseren engsten Beziehungen“. Dabei geht es um das Beziehungsmodell „Freundschaft Plus“. Wir durften mit Ole ausführlich über sein Buch und die darin vertretenen Themen reden.

Hallo Ole! Erstmal: Glückwunsch zur Veröffentlichung deines Buches.

Danke!

Wie fühlt es sich an, jetzt ein publizierter Autor zu sein?

Ich hab ja noch nie was veröffentlicht, also zumindest nicht schriftlich. Ich hab mal, bevor ich IT gemacht habe, ein bisschen in einer Agentur geschrieben, so Technik-Kram, aber das würde ich jetzt nicht unbedingt als Schriftstellerei erfassen (lacht). Deswegen ist das schon besonders. Ich bin auch gerade in so einer etwas verletzlichen Phase. Das heißt, jetzt kommen natürlich die ersten Kritiken und Leute, die mich gar nicht kennen oder unter Umständen auch meine Inhalte nicht kennen, lesen also völlig unbedarft dieses Buch und finden es entweder gut oder schlecht. Ja, ich glaube alle Leute die schreiben gehen irgendwie durch diese Phase. Als ich es abgegeben hab, war ich zufrieden, aber jetzt bin ich eher so: “Ah, ist das wirklich so gut? Hätte ich nicht noch da was machen können, hätte ich das nicht noch klarer erzählen können?” Und dann kommen halt immer die Zweifel. Aber ich glaube, das gehört dazu.

Das Thema deines Buchs “Freunde lieben” ist ja die Freundschaft Plus. Für alle die es vielleicht nicht wissen, was ist überhaupt eine “F+”?

Also ich glaube, eine Freundschaft Plus kann man super einfach definieren. Das ist eine Freundschaft, in der die beiden Freunde miteinander schlafen. Das Schwierige an einer Freundschaft Plus ist nicht, zu definieren, was eine Freundschaft Plus ist. Sonder vielleicht eher, was das nicht ist. Oder eher, ab wann es keine Freundschaft Plus ist, oder ab wann es eine ist. Und da sind die Übergänge viel fließender und die Definition viel schwieriger. 

Was genau macht denn die Übergänge so fließend?

Naja, an sich können wir ja sagen, dass eine Freundschaft Plus eine Freundschaft ist, in der Sex eine Rolle spielt. Und der einzige große Unterschied ist halt der Sex. Das heißt, es scheint sich an diesem sexuellen zu reiben, dass da plötzlich alles ganz undeutlich wird. Und das hat ja ganz klar geschichtliche Gründe. Wir hatten lange Zeit diese Vorstellung, dass es die komplett platonische Freundschaft auf der einen Seite und es gibt eben die sexuell erfüllende und auch emotional ergiebige romantische Partnerschaft auf der anderen Seite – monogam natürlich und im besten Fall noch heterosexuell. In den letzten Jahrzehnten hat sich halt super viel getan. Ich meine, guck auf die Straße, guck wie viele Werbetafeln mit halbnackten Menschen überall hängen – also Sex findet eigentlich die ganze Zeit statt. Ob das immer so lustvoll, so erotisch ist, ist eine andere Frage.

Aber es hat eine krasse Liberalisierung eingesetzt. Auch die Rechte von Frauen sind natürlich viel stärker geworden. Das heißt, auch sexuelle Beziehungen können viel freier geführt werden, als noch vor fünfzig oder vor hundert Jahren, was natürlich andere Beziehungsweisen ermöglicht. Und plötzlich wird da klar: “Hey, wenn wir eine Freundschaft führen und miteinander schlafen können – also so ganz eine Partnerschaft scheint es ja nicht zu sein”. Also es ist ja nicht so, wenn man irgendwie befreundet ist und miteinander schläft, dann ist es sofort eine Partnerschaft, das würde niemand so sehen. Und dann wanken so althergebrachte Kategorien, die vielleicht nur darauf basierten, dass wir eine relativ restriktive Gesellschaft gelebt haben.

Im Eingangskapitel deines Buches beschreibst du, dass es in der Popkultur F+ Situationen ja schon lange gibt. In “Harry und Sally” oder Friends with Benefits” beispielsweise scheitert das aber immer daran, dass jemand dann doch Gefühle entwickelt. Kann eine F+ auch etwas anderes sein, als nur eine Brücke zur unweigerlich romantischen Beziehung?

Ich meine, ich habe auch versucht, im ersten Kapitel darzustellen, dass Freundschaft Plus, wie das Popkulturell erzählt wird, nichts anderes ist, als diese Übergangsphase.Es ist immer nur die Brücke zur eigentlichen Beziehung. Es muss immer scheitern, erst wenn es scheitert und dann die Partnerschaft existiert, war es erfolgreich. Es ist also darauf angelegt, dass es zeitlich befristet ist. Und das will ich erstmal gar nicht verteufeln. Manche Leute gehen eine Freundschaft Plus ein und sagen “Okay, keine Ahnung ob wir wirklich zueinander passen, wir gehen erstmal langsamere Schritte”. Ich meine, klar, wenn man sich so verknallt und sofort eine Partnerschaft eingeht, dann sind da auch sau viele Erwartungen mit dabei.

Da kann man dann so ein bisschen “Romantik Light” erfahren, um zu schauen, ob es wirklich passt. Ich meine, wenn man sich längerfristig binden möchte, ist es schon gut, wenn man dann quasi ein freundschaftliches Verhältnis zueinander hat. Aber ich weiß auch nicht. Ich wehre mich halt immer wieder wenn so eine Kategorie verwendet wird, um allen Menschen die auf dieser Erde leben dieses Label aufzudrücken und zu sagen: “So ist das, so muss das verlaufen und anders geht es nicht”. Das beschneidet doch die Fähigkeit, die wir Menschen haben, diese Bindungen auf verschiedene Weisen einzugehen. Ich habe auf der einen Seite gesehen, dass es Erzählungen zu sexuellen Freundschaften gibt. Die werden aber immer nur in Bezug zum Drama, das aus dem Verlieben entsteht, erzählt.

Aber dass man einfach mal auf die Freundschaft schaut, als Freundschaft, wie sie langfristig als Freundschaft funktionieren kann, das bleibt aus. Und das ist eine riesige Lücke, die der gelebten Realität von Menschen nicht entspricht. Ja, natürlich gibt es Freundschaften Plus, die sich zu Partnerschaften entwickeln. Das will ich auch nicht wegreden. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass es Menschen gibt, die miteinander schlafen und die das eine Freundschaft nennen und wo das auch als Freundschaft funktioniert. Und darum geht es mir. Zu schauen, wie man überhaupt eine Freundschaft über Sexualität entwickeln kann. Und gleichzeitig auch die Konflikte zu sehen, die auftreten, wobei Gefühle nur einer von vielen sind.

Wo genau liegen die Konflikte und Hürden, die dem Aufbau einer Freundschaft Plus im Weg stehen?

Also natürlich ist die Freundschaft Plus eine sexual-liberale Beziehung. Da geht es um eine Sexualität, die man eventuell auch mit mehreren Leuten teilt. Also dass man mit mehreren Freundschaften schläft. Ich meine klar, in offenen Beziehungen kannst du auch eine Freundschaft Plus nebenbei führen. Lass sagen, du hast mehrere Sexualpartner:innen. Das setzt ja erstmal voraus, auf einer ganz basalen Ebene, gerade als Frau, dass du da keine Folgen hast, was beispielsweise Schwangerschaften angeht. Also sowas wie eine Freundschaft Plus kann natürlich auch nur entstehen, wenn es entsprechend Möglichkeiten zur Verhütung gibt oder Abtreibung nicht illegal ist. Oder zum Beispiel wenn sowas wie Antibiotika existiert – ich meine, je mehr Sex du hast mit anderen Leuten desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass du Geschlechtskrankheiten kriegst. Das sind ganz materielle Voraussetzungen.

Aber natürlich gibt es auch diese ganzen gesellschaftlichen Konventionen. Ich meine Frauen waren über Jahrhunderte hinweg das Eigentum ihrer Väter oder Ehemänner, da kannst du nicht einfach sagen, ich vögel mal nebenbei den Nachbar oder so etwas. Das würde ja nur passieren, wenn der Mann das allerhöchstens erlaubt oder nicht mitbekommt. Aber sobald er sagt “Lass das” hat er alle materiellen Hebel, um die Frau dazu zu zwingen, alle ihre Beziehungen aufzugeben. Solange das gesellschaftlich geächtet wird, religiöse Normen existieren, die die Menschen in die Hölle verdammen, wenn man seine Sexualität so auslebt, solange sexuelle Gewalt massiv gegen Frauen verübt wird, kannst du mit Freundschaft Plus nicht anfangen.

Das heißt, es braucht sehr viele Rahmenbedingungen, damit man so unbefangen eine Freundschaft Plus führen kann und auch als eine sehr schöne und tiefgehende Beziehung aufzeigen kann. Das Buch, so hab ich das auch geschrieben, ist halb eine Utopie, halb aber auch eine gelebte Realität. Da gibt es halt immer noch viel zu tun. 

Ole Liebl Freunde lieben
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Wann lassen sich die ersten historischen Hinweise auf eine Verbreitung des F+ Modells finden?

Ich glaube, Leute haben so schon immer miteinander geschlafen, das hat nur niemand niedergeschrieben (lacht). Also ich bin fest der Überzeugung, dass Freunde schon immer miteinander geschlafen haben – warum auch nicht, ich meine, man hängt halt viel miteinander rum, früher gab es auch weniger Menschen und die Gruppen waren kleiner. Heute in der Großstadt sind wir ja so Online-Dating-Realitäten gewöhnt, wo einfach der Fleischsalat nur einen Fingertipp entfernt ist. Das ist natürlich anders als früher, aber natürlich ist die Frage, ab wann entwickelt sich ein Konzept der Freundschaft, das Sexualität mit einbezieht.

Vorläufer von diesem Konzept gibt es mit romantischen Freundschaften im 19. Jahrhundert. Das waren meistens Frauenfreundschaften, die eben sehr, sehr leidenschaftlich waren. Die wurden eben auch in Briefen aufgeführt, deshalb hat man da Zeugnis von. Aber erste Hinweise auf das, was wir eine Freundschaft Plus nennen, habe ich zumindest in einem Buch von Ben Lindsay gefunden. Das war ein US-amerikanischer Sozialreformer. Und das war in den 20er Jahren. Ich will nicht sagen, dass es vorher keine Zeugnisse gab, aber zumindest sind sie mir nicht bekannt. 

Wo fandest du für dein Buch “Freunde lieben” die bedeutsamsten Quellen?

Also ich meine natürlich Bücher, gerade Fach- oder Sachbücher. Da kann man sich auch so ein bisschen durchhangeln und schauen, was das für eine Autorin oder Autor war, schauen, welche Themen für sie interessant sind… Natürlich auch im Internet, also ohne Google Scholar würde ich nicht schreiben (lacht). Auf so historische Themen, wie das mit Ben Lindsay, bin ich auch nur gekommen, weil ich mich mit der Geschichte der Ehe auseinandergesetzt habe. Ich hab so gesehen, es gab Anfang des 20. Jahrhunderts ganz starke Strömungen, die sich für eine Sexualisierung der Ehe eingesetzt haben und ich dachte, okay, vielleicht findet man hier und da Sachen, die wichtig sind.

Dieses Buch von Ben Lindsay, “Die Kameradschaftsehe”, war damals auch ein wirklicher Bestseller. Also das ist wirklich zehntausendfach verkauft worden. Und das war eines von diesen progressiven Aufklärungsbüchern, die versucht haben, die Ehe neu zu denken. Also auch, was Geschlechterverhältnisse angeht, weil um die Jahrhundertwende ja auch die sogenannte “erste Welle” des Feminismus war, wo Frauen für Mutterrechte und für Wahlrecht und so weiter gekämpft haben. Und da hat sich halt auch ganz viel schon in den partnerschaftlichen Beziehungen getan. Und so ist es oft auch Zufall, man recherchiert was zum einen Thema, findet was zum anderen… und das ist ja auch so ein bisschen die Freude an Sachbüchern: Dieses Wühlen und Recherchieren und Ordnen, das macht schon Bock.

Apropos Sachbücher: Liest du in deiner Freizeit selbst auch nur Sachbücher oder bist du auch mal eskapistisch veranlagt?

Ja, ich muss schon sagen – ich will fast Krankheitsmetaphern hier anstrengen – ich bin schon infiziert mit diesen Sachbüchern. Ich lese fast ausschließlich Sachbücher. Das ist auch irgendwann so ein selbstverstärkendes Ding. Wenn du wie ich sehr informationsbasiert liest – ich les ja Bücher oft auch nicht ganz, das geht auch nicht, wenn du zu einem Thema recherchierst – dann will ich oft auch nur ein Kapitel lesen, oder die erste oder die zweite Hälfte, was halt interessant ist. Und ich lese auch sehr schnell und ich muss oft auch Texte scannen. Und das verträgt sich überhaupt nicht mit Romanen.

Da geht’s halt nicht nur um Informationen, sondern um diese ganzen Geflechte und emotionalen Verwobenheiten und die Sprache, und wenn ich irgendwas poetisches Lesen will, dann lese ich halt Lyrik. Weil da gibt’s inhaltlich definitiv nichts zu holen, da musst du langsam lesen und Wort für Wort. Ich krieg’s irgendwie nicht hin. Das ist mir manchmal ein bisschen peinlich in diesem Literatur-Kontext, weil alle so mega-crazy irgendwelche Romane lesen und ich halt nicht. Ich würde mich als Bücherwurm betiteln, aber ich lese halt Sachbücher. Die halt teilweise einfach trocken sind und schlecht geschrieben. Und ich denke mir so: Ach egal, hauptsache Infos. Ich hoffe, das färbt sich nicht negativ auf meinen Stil ab (lacht). Wenn du nur so staubige Sach- und Fachbücher liest, die teilweise echt nicht gut geschrieben sind – wie kann ich verhindern, dass ich selber schlecht schreibe?

Du meintest bei der Pressekonferenz zur Leipziger Buchmesse, dass ein Grund für dich, das Buch zu schreiben, das Fehlen sonstiger Sachbücher zum Thema F+ gewesen war. Woran liegt es, dass das Thema kaum behandelt wird?

Das ist eine sehr gute Frage. Ich finde, allgemein ist es sehr bizarr, wie unfassbar nischenhaft die deutsche Sexualwissenschaft ist. Menschen bringen wirklich einen Großteil ihrer Zeit auf, um sich in irgendeiner Weise mit Sexualität auseinanderzusetzen. Sich irgendwie schick zu machen, dann gehen sie in die Bars aus, dann wird hier geknutscht und da irgendwas gemacht. Das spielt eine große Rolle im Leben vieler Leute. Und gemessen daran, wie wenig Forschung existiert zu so basalen Dingen wie Sexualität im weitesten Sinne, das ist schon krass.

Es gibt in Deutschland keine einzige wissenschaftliche Studie zu Freundschaft Plus. Obwohl das je nach Alter 30-40 Prozent junger Erwachsener als gelebte Realität haben. Das ist absurd! Ich glaube natürlich, Deutschland hat so eine gewisse Prüderie und eine gewisse Leidenschaft dafür, progressive Sexualwissenschaftler:innen aus dem Land rauszuprügeln. Ich meine, die erste Welle mit Freud und so weiter, das waren die ersten Bücher, die von Nazis verbrannt worden sind.

Ich kann es mir nicht genau erklären, ich finde Deutschland schon manchmal so ein bisschen prüde, auf so eine weirde Weise. Aber auch im Englischsprachigen Raum war da nichts zu finden. Der Begriff Freundschaft Plus ist in Deutschland erst so 13 Jahre alt, das ist nicht alt. Der kam 2011 erst auf, war eine neue Beziehungsform – neu im Sinne von, dass sie öffentlich und breit so gelebt wird – und dass da die Sachbücher oder auch die Forschung ein bisschen länger braucht oder nachzieht, das ist auch okay, klar. Aber dass es so gar nichts gibt, das hat mich schon überrascht. 

Was denkst du war der Grund für den “Boom” an sexuellen Freundschaften um 2011, wo der Begriff zuerst auftauchte?

Also es hat schon so ein bisschen früher angefangen. Der englische Begriff “Friends with Benefits” kommt aus der Mitte der 90er. Zwei recht bekannte Friends-With-Benefits-Forscher, die haben das da auch schon bemerkt, dass sich da was verändert. Wie gesagt, damit das möglich wird, müssen sich viele gesellschaftliche Dinge ändern und die waren in den 90ern weithin schon umgesetzt. Verhütungsmittel waren weithin verfügbar, Gleichstellung ist vorangeschritten, diese ganzen Gesetze, die Frauen in Ehen mehr oder weniger einsperren, sind auch immer weiter gelockert worden, Abtreibungen wurden möglich.

Und klar experimentieren gerade jüngere Menschen mit dem was geht und was nicht geht. Also gerade wenn es auch öffentlich nicht mehr so geächtet wird, kann man damit auch anders umgehen, muss es nicht so total geheim halten. Was ja auch gut tut: Wenn du auf Dauer eine Beziehung geheim halten und verstecken musst, das ist ja auch nicht so schön. Ich meine, Freundschaften leben ja auch nicht nur im geheimen Kellerloch, sondern die finden ja auch in der Öffentlichkeit statt. Man geht zusammen Eis essen, tauscht sich aus, auch wie Beziehungen laufen. Wenn es Konflikte in der Freundschaft gibt, bespricht man die auch in anderen Freundschaften. Dann kann man die auch besser lösen.

Und wenn eine Freundschaft Plus immer öffentlicher wird und das auch nicht mehr so ein Ding ist, dann kann man auch die Konflikte, die aufkommen, besser besprechen und besser lösen. Und das heißt, Freundschaften Plus werden einfacher zu führen. Also ich glaube, das ist so ein selbstverstärkendes Ding. Und ich meine, es ist nett mit seinen Freunden zu schlafen, wenn es passt. Das sind ja liebe Leute, man liebt die ja.

War die Arbeit an deinem Buch auch Anlass zur Introspektion für dein eigenes Liebesleben?

Natürlich schreibe ich aus einer persönlichen Motivation heraus. Ich begeistere mich für das Thema, weil es mich auch ein Stück weit in meiner Biografie begleitet hat. Aber das gilt ja erstmal für alle Themen. Wenn Leute Ameisenforscher werden, haben sie in ihrer Jugend wahrscheinlich auch gerne Insekten gesammelt. Das geht logischerweise einher. Natürlich kann ich über die Schönheit von Freundschaft Plus und wo es damit hingehen könnte anders sprechen, weil ich diese Beziehungen schon im hier und jetzt so lebe wie ich sie lebe – also vertrauensvoll und langanhaltend. Das ist ja nicht nur ein Fantasiegebilde. Das spielt natürlich in meinem Buch keine Rolle, es ist ja ein Sachbuch. Ich erzähle nicht von meinem eigenen Leben, was ja heute fast schon normal ist.

Wenn Leute über Sex schreiben, dann reden sie auch irgendwie immer über ihr eigenes Sex Leben. Also das kann man ja machen, ich bin nicht dagegen, aber das scheint fast eine Notwendigkeit zu sein (lacht). Ich werde so oft über mein Sexleben gefragt, ich denke mir, wenn Ärzt:innen über Krankheiten reden, werden sie ja auch nicht nach ihrer eigenen Krankheitsgeschichte gefragt. “Hatten sie auch mal Morbus Crohn? Wie war ihr Durchfall?” (lacht) Ich will damit sagen, ja, es gibt eine persönliche Motivation.

Und natürlich verändert schreiben auch, wie ich über Dinge nachdenke. Wenn ich die Bedingungen von Beziehungen untersuche, wenn ich merke, ich habe ein Kapitel über Intimität. Was heißt es, intim zu werden? Natürlich fange ich erstmal an, bevor ich forsche, zu fragen, was heißt es für mich, intim zu werden? Was sind erste Anhaltspunkte, um in Literatur reinzugehen und was sind Themen, die für das ganze interessant sind. Das ist glaube ich ganz normal. Das kriegt man immer wieder mit, beispielsweise wenn bei Newton der Apfel runterfällt. Dann macht es auf einmal “Bing” und Dinge verknüpfen sich. Ähnlich war das auch bei mir.

Ole Liebl Freunde lieben
© Harper Collins

Du bist gerade über TikTok so bekannt geworden. Denkst du, deine Rezensionen und so weiter könnten auch auf anderen Plattformen oder in anderen Formaten funktionieren?

Ja, das glaube ich – und das habe ich auch fest vor. Ich hab nur schlicht und ergreifend bis vor einer Woche einen festen Job gehabt. Ich hab einfach vier Tage die Woche den ganzen Tag gearbeitet, was bei so aufwendigen Videos mit Recherche, wie ich sie produziere, nicht so einfach ist. Ich will ja einen Standard halten, regelmäßig produzieren und gerade längere Videos brauchen auch eine längere Vor- und Nachbereitungszeit. Ich habe mich jetzt selbständig gemacht und will gucken, ob ich meine Arbeit zu einem tragfähigen Modell machen kann. Dazu gehören auf jeden Fall auch längere Formate. Ob das dann ein Podcast ist oder so eine Art Videoessay, es ist alles offen.

Können wir noch mit weiteren Büchern rechnen?

Auf jeden Fall, ich schreibe schon am nächsten. Ich weiß nicht, wie viel ich darüber sprechen kann, ich glaube es ist noch zu früh, um viel darüber zu sagen, aber es wird auf jeden Fall mit Männlichkeit zu tun haben. Das ist glaube ich ein Thema, was ich interessant finde. Weniger Männlichkeit im Bezug auf so kritische-Männlichkeit-Bücher, wo dann Leute über ihre eigene Männlichkeit reflektieren. Ich habe kein Interesse daran, mein Privatleben in die Öffentlichkeit zu tragen, ich finde, das können andere besser und vielleicht auch spannender. Ich finde es eher interessant, wie Männlichkeit sich in Beziehungen ereignet, in Beziehungen hergestellt wird, nicht nur als Dekonstruktion meiner eigenen Biografie – da gibt es genug Bücher dazu.

Vielen lieben Dank an Ole Liebl für das tolle Gespräch!

Wie seht ihr das neue Beziehungsmodell Freundschaft Plus? Hattet ihr selber schon einmal eine solche Beziehung? Egal ob ja oder nein: Ole Liebls Buch „Freunde lieben“ ist nicht nur für die geeignet, die eine F+ anstreben. Denn neben Freundschaft Plus lassen sich auch viele spannende Erkenntnisse zu Beziehungen im allgemeinen Sinn finden. Ole Liebl wird auch anlässlich der Buchmesse wieder in Leipzig sein, alle Termine findet ihr hier. Mehr Interviews gefällig? Hier eins mit der Kanadischen Band „The Strumbellas“.