Ein Stein ist ein Stein, kann ein Stolperstein sein Stolpersteine in Leipzig

Dies könnte ein sehr sachlicher Artikel über die Tätigkeiten des Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.* und seine wichtige Arbeit im Bereich der Geschichtserinnerung und der Aufarbeitung vorrangig jüdischer Lebensläufe bis zur und während der NS-Zeit in Deutschland werden.
Aber es ist eben nicht nur ein Bericht über einen der Tage im Jahr, an denen der Verein Stolpersteine verlegen lässt. Dieser sonnige 07. März 2024 ist auch ein kleines bisschen Teil meiner Geschichte.

© Maria Wolff

Die Geschichte von Alex und Georg Blancke

Besser gesagt geht es um die Tante meines Mannes. Ihr (jüdischer) Vater Georg Blancke lebte zur Machtübernahme der Nazis 1933 in Leipzig. Sein Vater, Alex Blancke, besaß eine Handelsfirma für Teer- und chemische Produkte. Er handelte mit recycelten Rohstoffen aus Produkten der chemischen Industrie. Alex und Georg lebten in der Straße des 18. Oktober. In der Nummer 17. Im Erdgeschoss. Dort, wo heute ein Studentenwohnheim ist.
Trotz der Einwände des Vaters begann Georg 1930 ein Medizinstudium an der Universität Leipzig. Mit viel Glück und Geschick gelang es ihm, nach 1933 sein Studium weiterzuführen und sogar sein Praktisches Jahr an der damaligen Uniklinik anzufangen, wo er 1935 von SA-Männern gewaltvoll der Klinik verwiesen wurde.

Flucht nach Chile

Über Umwege und großes Glück erhielt Georg Blancke 1936 eine Schiffspassage nach Chile, wohin er seinen Vater über verschlungene Wege, die unter anderem über ein Internierungslager in Shanghai führten, 1946 nach Chile nachholen konnte.
Zwei jüdische Menschen, die der Verfolgung durch die Nazis gerade so entfliehen konnten, aber ihre Heimat und wohlgemerkt auch ihren Besitz aufgeben mussten bzw. enteignet wurden.
In Chile wurde auch die Tante meines Mannes geboren, bevor sie mit ihrer Familie nach (West)Deutschland zurückkehrte.
Heute steht diese Frau neben mir. Ich frage sie, was die Verlegung der Stolpersteine für sie bedeutet. Sie ist bewegt. Das sind wir irgendwie alle. Heute und hier schließt sich ein Kreis. Vor rund 9 Jahren standen wir zum ersten Mal gemeinsam vor diesem Haus, an dem einst ihr Vater und Großvater lebten. 

© Maria Wolff

Wie verlegt man einen Stolperstein?

Mein Mann hat vor vier Jahren beim Verein Archiv Bürgerbewegung Leipzig nachgefragt , ob eine Stolpersteinverlegung für die beiden verfolgten und vertriebenen Männer möglich wäre. “Ist es!”, antwortete Achim Beier, Mitglied der Arbeitsgruppe, die sich um die Stolpersteinverlegungen in Leipzig kümmert. Es würde nur etwas Zeit brauchen. Von Vorteil sind Geschichten von Verfolgten, die durch Aufzeichnungen und Dokumente belegt werden können. Im vorliegenden Fall um Alex und Georg Blancke hatten wir das Glück, dass Georg Blancke seine Lebensgeschichte Ende der 80er Jahre sehr ausführlich aufschrieb. Eine Möglichkeit, die vielen Menschen, die unter der Gewaltherrschaft der Nazis umkamen, nicht zuteil wurde. Für die Familie war das aber auch der Moment, in dem sie zum ersten Mal das ganze Ausmaß der tragischen Familiengeschichte vor Augen geführt bekam. Gesprochen wurde darüber nur wenig. Man wollte, dass es die eigenen Kinder besser haben und sie sollten vor der grausamen Vergangenheit geschützt werden.
Und wie auch darüber sprechen, was wir heute noch nicht begreifen können. Über ein unvorstellbares Ausmaß an Unmenschlichkeit. 

© Maria Wolff

Nie wieder ist jetzt

Und so stehe ich vor den beiden golden glänzenden Steinen und kann nicht fassen, dass sich Geschichte wiederholt. Dass wir in einem gesellschaftlichen Klima leben, das rau ist. Das von mangelnder Kommunikations- und Kompromissbereitschaft geprägt ist und Teile dieser Gesellschaft erneut beginnen, Menschen auszuschließen, ja sogar deportieren zu wollen.
Wir wissen heute, wozu Nationalismus und Antisemitismus führen können und es ist unser aller Aufgabe, aktiv dagegen vorzugehen.

Wer den Verein Archiv Bürgerbewegung Leipzig unterstützen möchte, der kann das jederzeit mit einer Spende tun. Mehr Informationen zur Arbeit des Vereins erhaltet ihr auf der Website. Nahezu alle in Leipzig verlegten Stolpersteinen findet ihr hier.

Mehr zu Leipzigs Geschichte und der Geschichte der Universität könnt ihr auch in diesem Artikel nachlesen.

*Der Verein Archiv Bürgerbewegung Leipzig kümmert sich in Leipzig um die Verlegung der inzwischen ikonischen Stolpersteine, die der Aktionskünstler Gunter Demnig anfertigt und die in Erinnerung an die Schicksale von Juden, Sinti und Roma, politisch und konfessionell Verfolgten, Homosexuellen und „Euthanasie“-Opfern vor ihren ehemaligen Wohnstätten eingelassen werden.